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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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sicher. So sicher wie in der Kathedrale.« Ich fragte mich, ob der Verfolger sich über mich lustig machte. »Lestat, du hast dir alles nur eingebildet.«
    Egal. Geh einfach den Gang hinab bis zum Altargitter - ja, das Altargitter war noch vorhanden -, beachte nur, was vor dir ist, mach dir nicht ausgerechnet jetzt Gedanken.
    Rogers drängende Stimme klang in meiner Erinnerung nach. Aber liebte ich Dora nicht schon jetzt? Ich war ja hier, bereit, etwas zu unternehmen. Ich brauchte nur noch etwas Zeit! Absichtlich ließ ich meine Schritte in der Kapelle widerhallen.
    In den Wänden zwischen den bunten Glasfenstern waren die Stationen des Kreuzwegs als kleine Reliefs eingearbeitet. Sie zeigten den üblichen Prozessionsweg, aber der Altar war entfernt worden - statt dessen stand dort jetzt eine riesige Statue des Gekreuzigten.
    Kruzifixe haben mich schon immer fasziniert. Es gibt so unzählig viele unterschiedliche Darstellungen, die Museen sind voll davon, genauso wie die Kathedralen und Basiliken, die inzwischen selbst zu Museen geworden sind. Dieses Kreuz aber fand ich ziemlich beeindruckend. Es war wirklich sehr groß, sehr realistisch im Stil des späten 19. Jahrhunderts, das spärliche Lendentuch des Heilands wand sich wie von einem Luftzug bewegt, sein Antlitz war hohlwangig und zutiefst verhärmt. Sicher eine von Rogers Entdeckungen, denn zum einen war es zu groß für die Altarnische und zum anderen von beachtlicher Kunstfertigkeit, wohingegen die auf Piedestalen in der ganzen Kapelle verteilten Heiligen nur mittelmäßige Stuckfiguren waren. Es gab da, wie nicht anders zu erwarten, eine hübsche heilige Theresa in ihrem Karmeliter-Habit, mit Kreuz und Rosenbukett, einen heiligen Josef mit der Lilie und die gekrönte Himmelskönigin in ihrem Schrein, sie alle waren lebensgroß, sorgfältig bemalt - aber keine Kunstwerke.
    Dieser Gekreuzigte zwang einen zu einer wie auch immer gearteten Entscheidung; entweder zu »Ich verabscheue das ganze blutgetränkte Christentum« oder zu einem schmerzhafteren Gefühl, das eine Zeit der Kindheit heraufbeschwor, in der man sich vorstellte, wie diese Nägel systematisch in das eigene Fleisch getrieben wurden. Fastenzeit. Meditationen. Die Kirche. Und der Priester, Gebete murmelnd. »Unser Herr«.
    Ich fühlte beides, Abscheu und Schmerz. Und Erinnerungen an meine Kindheit drängten sich mir auf, während ich zögernd zwischen den Schatten herumschlenderte und das Spiel des von außen einfallenden Lichtes in dem bunten Glas der Fenster betrachtete. Auch an Rogers Liebe zu Dora dachte ich, und da war die Erinnerung nichts, und die Liebe war alles.
    Ich betrat die Stufen, die einst zu Altar und Tabernakel geführt hatten, hob die Hand und berührte den Fuß des Gekreuzigten. Altes Holz, leise Klänge von Hymnen, undeutlich und geheimnisvoll. Ich sah das Gesicht an und sah keine in Agonie verzerrten Züge, sondern einen Ausdruck von Weisheit und Ruhe, wie vielleicht in den letzten Sekunden vor dem Tod.
    Ein laut hallendes Geräusch ertönte plötzlich irgendwo in dem Gebäude. Ein allzu hastiger Schritt rückwärts ließ mich dummerweise stolpern, so daß ich mich der Kirche zugewandt fand. Jemand bewegte sich durch das Haus, jemand, der gemessenen Schrittes über den unteren Flur in Richtung auf genau das Treppenhaus zuging, das auch mich zur Kapelle geführt hatte. Eilig huschte ich zur Tür. Weder vernahm ich eine Stimme, noch konnte ich einen Geruch aufnehmen. Kein Geruch! Mein Herz stockte. »Ich kann es nicht mehr ertragen!« flüsterte ich, schon zitternd. Aber manchmal erreichen einen auch menschliche Gerüche nicht so schnell, vielleicht sollte ich die Luftbewegungen oder, besser gesagt, die kräftige Zugluft berücksichtigen.
    Jemand eilte die Treppe herauf. Ich drückte mich an die Tür zur Kapelle, um sehen zu können, wer um die Biegung kam. Sollte es Dora sein, würde ich mir sofort ein Versteck suchen. Aber es war nicht Dora, und so schnell und leichtfüßig kam es die Treppe herauf, direkt auf mich zu, daß ich erst erkannte, wer es war, als er schon vor mir stand.
    Der Unauffällige.
    Ich stand stocksteif und starrte ihn an. Nicht ganz meine Größe, auch nicht ganz meine Figur; aber wie ich es in Erinnerung hatte: Er war von absolutem Ebenmaß. Geruchlos? Nein, aber der Geruch stimmte nicht, er enthielt eine Mischung von Blut und Schweiß und Salz, und ich hörte sachte ein Herz klopfen…
    »Quäle dich nicht«, sagte er sehr höflich und diplomatisch. »Ich

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