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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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an Rogers Kopf herumgenagt, ehe man ihn fand, und die strikten Regeln der modernen Forensik besagen ja »Nichts anfassen«, von daher bot er - selbst für mich -einen heftigen Anblick. (Ich höre noch die Worte der Angestellten, die gefühlvoll sagte, dass ich eigentlich in meinem zarten Al ter so etwas noch gar nicht sehen dürfte. Sie dachte, ich wäre Doras kleiner Bruder. Die Frau war wirklich süß. Vielleicht sollte ich demnächst mal einen Ausflug in die Welt der Sterblichen machen, es wäre etwas wert, endlich einmal als »heißer Typ« bezeichnet zu werden, anstatt immer nur als Botticelli-Engel - meinem Markenzeichen unter den Untoten).
    Dass Lestat zurückkam, davon träumte Dora. Was sonst würde ihr erlauben, sich aus unserer gemeinsamen Bezauberung zu befreien, als eine wie auch immer geartete endgültige Segensbezeugung durch den Kronprinzen persönlich?
    Ich stand vor dem dunklen Glas des Hochhausapartments und hielt über den tiefen Schnee der Fifth Avenue hinweg Ausschau, wartete und betete mit ihr, und wünschte mir, dass die weite Erde ohne meinen alten Feind nicht so leer wäre. Dabei dachte ich in meinem törichten Herzen, dass sich das Geheimnis seines Verschwindens schon bald aufklären würde, wie alle Wunder sich aufklärten, unter Trauer und kleineren Verlusten, aber bestimmt nicht durch eine bedeutendere Offenbarung.
    Ich hatte um Lestat im Grunde keine Angst. Ich erwartete nichts von seinem Abenteuer, außer dass er früher oder später wieder erscheinen und uns irgendetwas Fantastisches erzählen würde. Es würde die gewohnte Lestat-Geschichte sein, denn niemand ist besser darin, seine unerhörten Abenteuer auszuspinnen. Damit will ich nicht sagen, dass er nicht diesen Körpertausch vorgenommen hat. Ich weiß, dass es so ist. Es heißt nicht, dass er die schreckliche Muttergöttin Akasha nicht aufgeweckt hätte. Ich weiß, dass er das tat. Es heißt nicht, dass er nicht damals vor der Französischen Revolution meinen alten Orden zerschlagen hätte. Das habe ich ja schon erzählt.
    Aber es ist die Art und Weise, wie er beschreibt, was ihm widerfährt, die mich so rasend macht: Er verbindet alles derart miteinander, als wären die zufälligen, schaurigen Ereignisse tatsächlich Glieder einer bedeutsamen Kette. So ist es aber nicht. Sie sind nur Kapriolen. Und er weiß es. Aber er muss aus jedem kleinen Missgeschick ein Straßenspektakel machen.
    Der James Bond der Vampire, der Sam Spade seiner eigenen Bücher! Ein Rock-Sänger, der für zwei Stunden auf einer sterblichen Bühne kreischt, sich nach einer Ladung Plattenaufnahmen in Rente begibt und aus diesem Unternehmen bis zum heutigen Tag von den Musikagenturen noch jede Menge Kohle bezieht.
    Er hat einen Hang dazu, aus schmerzlichen Trivialitäten Tragödien zu machen und sich selbst in jedem Absatz seiner gekritzelten Beichten alles zu vergeben.
    Ich kann es ihm nicht übel nehmen, wirklich nicht. Ich kann’s nicht ändern, aber ich finde es schrecklich, dass er hier, auf dem Boden dieser Kapelle, im Koma liegt und in eine selbstbeherrschte Stille starrt, ungeachtet der ihn umringenden Zöglinge - und sie sind aus demselben Grund gekommen wie ich, um mit eigenen Augen zu sehen, ob ihn das Blut Christi irgendwie verwandelt hat, und ob er nicht ein großartiger Beweis des Wunders der göttlichen Wandlung ist. Aber dazu komme ich noch früh genug.
    Jetzt habe ich mich irgendwie in eine Ecke geredet. Ich weiß, warum ich mich so über ihn ärgere, warum ich es so beruhigend finde, seinen Ruf anzukratzen, seine übergroße Persönlichkeit mit Fäusten zu schlagen.
    Er hat mich zu viel gelehrt. Er hat mich hierher, bis zu diesem Punkt gebracht, an dem ich stehe und dir meine Vergangenheit mit einer Folgerichtigkeit und Ruhe diktiere, die ich vorher, ehe ich ihm wegen seines tollen Memnoch, dem Teufel, und seiner verwundbaren kleinen Dora zu Hilfe kam, nicht zustande gebracht hätte.
    Vor zweihundert Jahren hat er mich aller Illusionen, aller Lügen und Entschuldigungen beraubt und mich nackt auf das Pariser Pflaster geschleudert, damit ich meinen Weg zurück in die glorreiche Welt unter dem Sternenlicht fand, die ich einst gekannt und unter Schmerzen verloren hatte.
    Aber als wir damals geduldig in dem Apartment hoch über St.Patrick’s warteten, hatte ich keine Ahnung, wie viel er mir noch rauben konnte, und ich hasse ihn nur, weil ich mir nicht vorstellen kann, ohne ihn zu sein. Und obwohl ich ihm alles verdanke, was ich heute bin und

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