Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
aufständischen Zöglinge, dem sanften, entzückenden Louis und dem zum Untergang verurteilten Kind, ins Théâtre des Vampires, und ich hatte ihn damals nicht bedauert, obwohl seine Haut von Claudias ungeschicktem, dummem Mordanschlag narbig verbrannt war.
Geliebt, ja, geliebt hatte ich ihn damals, aber was ihm widerfahren war, war nur ein körperliches Unglück, das das finstere Blut heilen würde, und ich wusste aus unseren alten Berichten, dass die Heilung an sich ihm größere Kräfte bescheren würde, als e s die verfließende Zeit vermochte.
Aber was ich heute in seinen gequälten Zügen gesehen hatte, das war die Verheerung der Seele, und ich konnte den Anblick seines einzelnen blauen Auges nicht ertragen, wie es so lebhaft aus seinem verschmierten, bejammernswerten Gesicht leuchtete. Dass wir etwas gesagt hätten, daran kann ich mich nicht erinnern, David. Ich weiß nur, dass die Zeit, der frühe Morgen, uns davonlief, und wenn du auch geweint hast, dann habe ich es nicht bemerkt. Und das Päckchen in seinem Arm, was konnte das nur sein? Ich glaube, ich habe keinen Gedanken daran verschwendet.
Als sich am folgenden Abend die Dunkelheit niedersenkte, und für ein kostbares Weilchen ein paar Sterne aufblitzten, ehe der Schnee wieder zu fallen begann, betrat er still den Wohnraum des Apartments. Er hatte sich gewaschen und angekleidet, und der blutende Riss an seinem Fuß hatte sich zweifellos schon wieder geschlossen. Er hatte neue Schuhe angezogen.
Aber nichts konnte das groteske Bild mildern, das sein Gesicht mit de n Schnitten und Kratzern rings um die klaffenden, zuckenden Lider bot. Ruhig setzte er sich hin.
Er sah mich an, und ein blasses, charmantes Lächeln erhellte seine Miene. »Um mich brauchst du dich nicht zu sorgen, Armand, mein kleiner Teufel«, sagte er. »Du solltest dich um uns alle sorgen. Ich bin ein Nichts. Ich bin einfach ein Nichts.«
Leise wisperte ich ihm ins Ohr, was ich plante. »Lass mich hinunter auf die Straße gehen, ich werde einem Sterblichen ein Auge stehlen, irgendeinem Bösewicht, der alle ihm von Gott geschenkten körperlichen Gaben verschwendet hat, dem nehme ich ein Auge für dich. Das werde ich in die leere Höhe legen. Dein Blut wird sich damit verbinden, und dann kannst du wieder sehen. Du weißt, dass es geht. Du hast dieses Wunder an einer der Alten gesehen, an Maharet, sie hatte die Augen eines Sterblichen, die mit unserem besonderen Blut wieder sehen konnten. Ich tu’s. Es dauert nur einen Augenblick, dann habe ich das Auge in der Hand und bin dein Arzt und lege es da hinein. Bitte.«
Er schüttelte nur den Kopf und drückte mir schnell einen Kuss auf die Wange.
»Warum liebst du mich, nach allem, was ich dir angetan habe?«, fragte er. Man konnte die Schönheit seiner glatten, porenlosen, von der Sonne gebräunten Haut nicht verleugnen, selbst nicht, als der dunkle Schlitz der leeren Augenhöhle mich anzublinzeln schien, als habe er die geheime Kraft, das, was er sah, direkt ins Herz zu leiten. Lestat war schön und strahlend, von seinem Gesicht schien ein dunkelrötliches Glühen auszugehen, als habe er ein großes Mysterium gesehen.
»Aber das stimmt«, sagte er, und dann begann er zu weinen. »Das stimmt, und ich muss euch davon erzählen. Glaubt mir, so wie ihr glaubt, was ihr letzte Nacht gesehen habt, die Wildblumen, die mir noch im Haar klebten, die Schnittwunden - seht, meine Hände, sie heilen schon, aber nicht schnell genug -, glaubt mir.«
Du mischtest dich dann ein, David. »Erzähl, Lestat. Wir hätten hier bis in alle Ewigkeit auf dich gewartet-. Erzähl. Wohin hat dich dieser dämonische Memnoch gebracht?«
Wie tröstlich und vernünftig deine Stimme klang, genau wie jetzt! Ich glaube, diese Fähigkeit, vernünftig zu argumentieren, ist dir in die Wiege gelegt worden, und du bist uns geschenkt worden, nehme ich an, um uns zu zwingen, unsere Katastrophen im Lichte der modernen Gewissensforschung zu sehen. Aber darüber können wir später noch nächtelang reden.
Also zurück zu dem Bild, wir drei auf den schwarz lackierten, chinesischen Stühlchen um den wuchtigen Glastisch versammelt, und Dora tritt ein. Sie ist sofort von Lestats Gegenwart berührt, die ihre sterblichen Sinne ihr nicht angekündigt hatten. Sie bot ein hübsches Bild, mit ihren knabenhaft kurzen, schwarzen Haaren, die den schwanengleichen Hals frei ließen. Ihr überschlanker Körper steckte in einem weich fallenden Kleid aus purpurrotem Stoff, der sich in exquisiten
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