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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Schicht ihres Bewusstseins zur Seite, sah wieder die dunkle, kurvige Straße, die sich durch das Jordantal schlängelte, und die Eltern, die angesichts der pechschwarzen Finsternis und dieser Haarnadelkurven viel zu schnell fuhren. Und die entgegenkommenden arabischen Fahrer, die noch viel schneller waren, so dass jedes aufleuchtende Scheinwerferpaar eine grausige Herausforderung bedeutete.
    »Nur um den Fisch vom See Genezareth zu essen«, sagte sie mit abgewandten Augen. »Das hatte ich mir gewünscht. Es war meine Idee. Wir hatten noch einen Tag im Heiligen Land, und sie hatten schon gesagt, es wäre eine lange Fahrt von Jerusalem nach Nazareth, und dann sagte ich: ‘Aber Er ist über das Wasser gegangen.’
    Ich fand immer, dass das eine sehr merkwürdige Geschichte war. Kennst du sie?«
    »Ja, sicher«, sagte ich.
    »Dass Er über das Wasser gegangen ist, als wenn Er vergessen hätte, dass die Jünger da waren oder dass Ihn jemand sehen könnte. Und die in dem Schiff sagten, >Herr!<, und da erschrak er. Ein merkwürdiges Wunder, als ob es nur … eine Art Zufall gewesen wäre. Ich wollte unbedingt hin. Ich wollte frisch aus dem See gefangenen Fisch essen, aus demselben Wasser, in dem Petrus und die anderen gefischt hatten. Es ist meinetwegen passiert. Nein, ich meine nicht, dass ich Schuld an ihrem Tod bin. Aber es ist meinetwegen passiert. Und wir waren eigentlich schon auf dem Weg nach Hause, zu meiner großen Nacht in der Carnegie Hall. Eine Plattenfirma wollte alles aufzeichnen, live. Weißt du, wir hatten schon vorher einmal etwas aufgezeichnet. Aber in der Nacht … das heißt, die dann nie stattgefunden hat, da wollte ich die Appassionata spielen. Alles andere war völlig unwichtig für mich. Natürlich liebte ich auch die anderen Sonaten, die Mondscheinsonate, die Pathétique, aber eigentlich … eigentlich gab es für mich immer nur die Appassionata. Meine Eltern waren so stolz! Mein Bruder - er war derjenige, der immer die Kämpfe ausfechten musste, der sich um solche Sachen wie das Wo und Wann kümmerte, der für die besten Flügel sorgte, für die Lehrer, die ich brauchte. Er war derjenige, der ihnen die Augen geöffnet hat, aber schließlich hatte er überhaupt kein richtiges eigenes Leben, und wir alle sahen, was kommen musste. Wir saßen abends zusammen und sprachen darüber, dass er sein eigenes Leben leben musste, dass es nicht gut war, wenn er immer nur für mich arbeitete. Aber dann pflegte er zu sagen, dass ich ihn noch Jahre lang brauchen würde, ich hätte ja keine Vorstellung. Er managte die Plattenaufnahmen, die Auftritte, das Repertoire und die Gagen. Man konnte keinem Agenten trauen. Er sagte immer, ich hätte ja keine Vorstellung, welche Höhen ich noch erklimmen würde.« Sie unterbrach sich, neigte den Kopf zur Seite. Ihre Miene war ernst, aber ruhig.
    »Es war nicht so, dass ich mich in die eine oder andere Richtung entschieden hätte, verstehst du«, fuhr sie fort. »Ich wollte einfach nichts anderes tun. Sie waren tot. Und ich ging einfach nirgendwo mehr hin. Ich ging nicht ans Telefon, ich hörte auf keinen Ratschlag. Ich machte keine Pläne. Ich wollte nicht essen, nicht die Kleider wechseln. Ich spielte immer nur die Appassionata.«
    »Ich verstehe«, sagte ich sanft.
    »Benji sollte sich um mich kümmern, darum hat er ihn mit nach Hause genommen. Ich frage mich immer, wie er das gemacht hat. Ich glaube, er hat ihn gekauft, weißt du, einfach so gegen bar.«
    »Ich weiß.«
    »Ich glaube, so war es. Er könne mich nicht allein lassen, sagte er, nicht einmal im Hotel, weil ich sonst nackt am Fenster stand oder das Zimmermädchen ausschloss, oder mitten in der Nacht Klavier spielte, so dass er nicht schlafen konnte. Also hat er uns Benji besorgt. Ich liebe Benji.«
    »Ich weiß.«
    »Ich würde immer auf Benji hören. Er hat auch nie gewagt, Benji zu schlagen. Und erst in letzter Zeit fing er an, mir wirklich richtig wehzutun. Vorher waren es nur ein paar Klapse, du weißt schon, oder er trat mich oder zog mir an den Haaren. Das ganze Haar packte er mit einer Hand und riss mich dann zu Boden. Das hat er oft gemacht. Aber er wagte nie, Benji zu schlagen. Er wusste, wenn er Benji schlug, würde ich das ganze Hotel zusammenschreien. Aber andererseits, wenn Benji manchmal versuchte, ihn aufzuhalten - aber ich bin mir nicht sicher. Mir war oft so schwindelig. Und mein Kopf schmerzte dann.«
    »Ich verstehe«, sagte ich. Natürlich hatte er Benji geschlagen. Sie grübelte still vor

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