Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
Stellt mich vor einen hohen Spiegel.«
Sie waren stumm vor Verwunderung. Benji kaute an seiner Lippe. Sybelle stand still, das lange Haar fiel über ihre Brüste.
Der Raum schien in Farben zu schwimmen. Die Wände waren mit blauer Seide ausgeschlagen, überall häuften sich reich verzierte seidene Kissen, sieh, da, die goldenen Fransen und dort der Kronleuchter mit den baumelnden Kristalltropfen, die das ganze glitzernde Farbspektrum versprühten! Ich bildete mir ein, ich könnte das Glas leise klirren hören, wenn es aneinander stieß. In meinem kraftlosen, verwirrten Geist schien mir, dass ich noch nie solch schlichten Glanz gesehen hatte, dass ich in all den Jahren vergessen hatte, wie leuchtend und auserlesen schön die Welt war.
Als ich die Augen schloss, nahm ich das Bild des Zimmers mit in mein tiefstes Inneres. Ich atmete ein und kämpfte dabei gegen den verlockenden Duft ihres Blutes, den süßen, reinen Duft der Lilien an. »Dürfte ich wohl die Blumen sehen?«, hauchte ich. Waren meine Lippen verkohlt? Sahen sie meine Fangzähne, und w aren die etwa vom Feuer vergilbt? Ich schwebte auf den seidenen Kissen. Ich schwebte, und mir schien, ich könnte endlich träumen, sicher, in wahrhaft sicherer Hut. Da waren die Lilien. Ich streckte die Hand aus, fühlte die Blütenblätter an meiner Hand, und mir liefen die Tränen über die Wangen. Waren sie aus reinem Blut? Bitte nicht! Aber ich hörte Benji staunend nach Luft schnappen, und Sybelle machte ein leises Geräusch, um ihn zum Schweigen zu bringen.
»Ich war, glaube ich, siebzehn, als es passierte«, erklärte ich. »Es war vor hunderten von Jahren. Eigentlich war ich zu jung dafür. Mein Herr
- er war sehr liebevoll, er glaubte auch nicht, dass wir böse waren. Er fand, dass wir von Bösewichten leben sollten. Wenn ich nicht im Sterben gelegen hätte, wäre e s gar nicht so früh passiert. Er wollte, dass ich lernte, dass ich bereit dafür war.«
Ich schlug die Augen auf. Ich hatte einen Zauber um sie gesponnen! Sie sahen wieder den Knaben, der ich einst war! Ich hatte es völlig unbeabsichtigt gemacht.
»Ach, so hübsch!«, sagte Benji, »so elegant warst du, Dybbuk.« Ich seufzte, denn ich spürte, wie die zerbrechliche Illusion sich in Nichts auflöste. »Du kannst mich von jetzt an mit meinem Namen ansprechen. Ich heiße nicht Dybbuk. Das musst du bei den Hebräern aufgeschnappt haben.«
Er lachte. Er zuckte nicht mit der Wimper, als die Illusion verblasste und ich mich langsam wieder in mein grässliches Selbst verwandelte! »Dann sag mir deinen Namen«, sagte er.
Das tat ich.
»Armand«, sagte Sybelle. »Sag uns, was wir für dich tun können. Wenn schon keine Seide, dann eine Salbe. Aloe, ja, Aloe ist gut gegen Verbrennungen.«
Ich lachte, aber leise, sehr gütig.
»Meine Aloe ist Blut, mein Kind. Ich brauche einen Bösewicht, jemanden, der es verdient, zu sterben. Nur, wo kriegen wir den her?«
»Was bewirkt dieses Blut denn?«, fragte Benji. Er setzte sich direkt neben mich und beugte sich über mich, als ob er mich für ein absolut faszinierendes Exemplar hielte.
»Weißt du, Armand, du bist schwarz wie Pech, als wärst du aus schwarzem Leder. Du siehst aus wie diese Mumien, die sie in Europa aus dem Sumpf holen, die glänzen auch so, und ihr Körper ist vollkommen erhalten, mit allen Innereien. Man könnte bei dir Anatomiestunden nehmen - die Lehre von den Muskeln.«
»Benji, hör auf«, sagte Sybelle. Sie schwankte zwischen Missbilligung und Besorgnis. »Wir müssen überlegen, wie wir uns einen Bösewicht beschaffen.«
»Meinst du das ernst?«, fragte er, indem er ihr quer über das Bett einen Blick zuwarf. Sie stand mit gefalteten Händen da, wie im Gebet. »Sybelle, das ist doch kinderleicht. Ihn hinterher loszuwerden, ist viel schwieriger.« Er sah mich an. »Weißt du, was wir schließlich mit ihrem Bruder gemacht haben?«
Sie presste die Hände auf die Ohren und senkte den Kopf. Wie oft hatte ich das Gleiche getan, wenn ich das Gefühl hatte, dass ein paar Sätze, ein paar Vorstellungen mich vernichten konnten? »Du bist wie lackiert, Armand«, erklärte Benji. »Aber ich kann dir einen Bösewicht beschaffen, das ist ein Klacks! Du willst einen bösen Menschen? Dann lass uns einen Plan machen!«
Er beugte sich über mich, als wolle er mir direkt ins Gehirn schauen. Aber plötzlich wurde mir klar, dass er meine Fangzähne betrachtete. »Benji«, keuchte ich, »komm nicht näher. Sybelle, nimm ihn da weg.«
»Aber was habe
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