Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
Leben im Altertum ganz großartig, ich jedoch wollte etwas über die Menschen meiner Zeit erfahren. Ich zog es vor, auf Biancas Sofa zu dösen, anstatt über die Vorzüge dieses oder jenes Malers zu streiten. Außerdem wusste ich sowieso, dass unser Meister der beste war.
Diese Welt, in der ich nun lebte, bestand aus weiten, hellen Räumen mit geschmückten Wänden, in denen unzählige Lampen duftendes Licht spendeten und die neuesten Moden geradezu aufdringlich zur Schau gestellt wurden. Und ich gewöhnte mich vollkommen daran, denn ich sah kaum etwas von dem Leid und Elend der Armen dieser Stadt. Selbst die Bücher, die ich las, spiegelten dieses, mein neues Reich, in dem ich so sicher eingebettet war, dass mich nichts mehr in jene vergangene Welt der Verwirrtheit und des Leidens zurückversetzen konnte.
Ich lernte, auf dem Virginal ein paar Lieder zu spielen. Ich lernte, die Laute zu schlagen, dazu sang ich mit sanfter Stimme traurige Lieder, denn die mochte mein Gebieter besonders gern.
Hin und wieder bildeten wir Jungen einen Chor und stellten unserem Herrn eigene Kompositionen oder auch selbst erfundene Tänze vor. In der Nachmittagshitze, wenn wir eigentlich ruhen sollten, spielten wir Karten. Riccardo und ich schlüpften heimlich aus dem Haus und gingen zum Glücksspiel in die Tavernen. Ein oder zwei Mal tranken wir auch zu viel. Unser Gebieter wusste es und unterband das Ganze sofort. Einmal war ich nämlich in meinem Rausch in den Canale Grande gefallen, was eine ungeschickte, hektische Rettungsaktion notwendig machte. Das hatte meinen Herrn ziemlich erschreckt. Ich hätte schwören können, dass er erbleichte, dass ich die Farbe aus seinen Wangen weichen sah.
Er strafte Riccardo wegen dieser Geschichte mit der Rute. Ich war sehr beschämt. Doch Riccardo nahm es mit soldatischer Tapferkeit, ohne Geheul, ohne Kommentar. Er stand bewegungslos vor dem großen Kamin in der Bibliothek, hielt seine Rückseite hin und empfing die Hiebe auf seinen Beinen. Anschließend kniete er nieder und küsste den Ring am Finger unseres Meisters. Ich schwor, ich würde mich nie wieder betrinken.
Schon am nächsten Tag war ich wieder betrunken, doch mein Kopf war noch klar genug, dass ich zu Biancas Haus schwankte und unter ihr Bett kroch, wo ich mich gefahrlos ausschlafen konnte. Noch vor Mitternacht zerrte mich mein Herr darunter hervor. Ich dachte: Jetzt bin ich fällig! Aber er brachte mich nur zu Bett, und ich war schon wieder eingeschlafen, ehe ich noch um Verzeihung bitten konnte. Als ich zwischendurch einmal erwachte, sah ich ihn an seinem Pult sitzen und schreiben. Dabei führte er die Feder mit ebensolcher Geschwindigkeit wie sonst den Pinsel. Er füllte das große Buch, das er immer sorgfältig verbarg, ehe er das Haus verließ.
Wenn an besonders heißen Sommernachmittagen die anderen - auch Riccardo - doch einmal eingeschlafen waren, machte ich mich auf eigene Faust auf und mietete eine Gondel. Lang ausgestreckt lag ich dann darin und starrte in den Himmel, während das Gefährt den Kanal entlangtrieb, bis in die Mitte der Bucht in bewegteres Wasser. Auf dem Weg zurück schloss ich die Augen, damit ich aus den stillen, mittagsruhigen Häusern auch noch die gedämpftesten Rufe hören konnte. Ich hörte das Schwappen des übel riechenden Wassers an den verrottenden Fundamenten, die Schreie der Seemöwen über mir. Weder die Stechmücken noch der Geruch der Kanäle störten mich. An einem Nachmittag ging ich nicht wieder heim zu Schularbeiten und Lektionen, sondern kehrte in einer Taverne ein und lauschte den Sängern und Musikanten, und ein anderes Mal, auf einem Platz vor einer Kirche, stieß ich zufällig auf eine offene Bühne, auf der gerade ein Schauspiel aufgeführt wurde. Niemand schimpfte mit mir wegen meines Kommens und Gehens. Nichts wurde unserem Gebieter gemeldet. Auch wurden unsere Lektionen nicht abgefragt. Manchmal schlief ich den ganzen Tag, oder so lange, bis mich die Neugier packte. Ich freute mich immer ganz besonders, wenn ich aufwachte und meinen Herrn bei der Arbeit fand, sei es im Studio, wo er oben auf dem Gerüst vor der langen Leinwand auf und ab lief und malte, oder direkt neben mir an seinem Arbeitstisch im Schlafzimmer, wo er saß und schrieb. Überall im Haus waren ständig Speisen angerichtet, glänzende Bündel Weintrauben, reife, schon in Stücke geteilte Melonen, köstliches Brot aus feinstem Mehl und frisch gepresstes Öl. Ich aß schwarze Oliven und dicke Scheiben von hellem,
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