Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
und Rubine auf meinem Dolch ausgiebig betrachtet hatte, schnitt ich mit einem entzückten Keuchen einen Apfel mittendurch. Die anderen Knaben lachten über mich, aber sie meinten es freundlich und lieb.
Bald würde unser Gebieter kommen. Seht! Die Jüngsten unter uns, kleine Jungen, die nicht mit uns anderen fort gewesen waren, huschten flink umher und entzündeten mit ihren Wachslichtern die Fackeln und Kandelaber. Ich stand im Türrahmen und folgte ihnen mit meinen Blicken. Da und dort und im nächsten Raum, überall flammte lautlos das Licht auf.
Ein groß gewachsener Mann, sehr schattenhaft und schlicht, kam herein, ein zerlesenes Buch in der Hand. Sein langes, dünnes Haar war ebenso schwarz wie sein schmuckloses wollenes Gewand. Seine kleinen Augen blickten freundlich, doch der farblose, dünne Mund trug einen kämpferischen Zug.
Die Jungen stöhnten.
Nun wurden die schmalen, hohen Fenster wegen der kühleren Nachtluft geschlossen. Draußen auf dem Kanal vor dem Haus sangen ein paar Männer, während sie ihre langen, schmalen Gondeln vorantrieben. Die klingenden Stimmen schienen an den Mauern hochzusteigen wie Wasser: klar, sprühend, dann langsam verhallend. Ich aß meinen Apfel bis zum letzten saftigen Häppchen auf. Ich hatte an diesem Tag mehr Früchte, Brot, Fleisch, Kuchen und Bonbons gegessen, als ein Mensch normalerweise zu essen vermochte. Ich war kein Mensch. Ich war ein hungriger Junge.
Der Lehrer schnippte mit den Fingern, dann zog er eine lange Gerte aus seinem Gürtel und schlug damit knallend gegen sein Bein. »Nun kommt schon«, sagte er dabei zu den Jungen.
Als unser Gebieter erschien, sah ich auf.
Alle Jungen, ob groß und stark oder noch kindlich oder schon fast erwachsen, liefen zu ihm, umarmten ihn und hängten sich an ihn, während er die Malereien inspizierte, an denen sie tagsüber gearbeitet hatten.
Der Lehrer wartete schweigend, nachdem er sich vor seinem Herrn demütig verneigt hatte.
Die ganze Gesellschaft marschierte nun durch die Galerien, den Lehrer im Schlepptau.
Unser Gebieter streckte uns die Hände entgegen, und jeder betrachtete es als Privileg, seine kühlen, weißen Finger berühren oder ein Stückchen von seinen lang herabhängenden roten Armein erwischen zu können.
»Komm, Amadeo, komm mit uns.«
Ich wollte nur eines, und ich erhielt es bald genug.
Die anderen wurden mit dem Lehrer fortgeschickt, um Cicero zu lesen. Mein Gebieter drehte mich mit fester Hand, an der die Fingernägel blitzten, in die entgegengesetzte Richtung und dirigierte mich zu seinen eigenen Räumen.
Sobald sich die mit Malereien geschmückten Holztüren fest geschlossen hatten, war dies unser ganz privates Reich mit seinen glimmenden, mit Weihrauch versetzten Kohlenpfannen und den Messinglampen, von denen Parfümdüfte aufstiegen. Und dann die weichen Kissen des Bettes, ein Blumengarten aus bestickter, mit Applikationen versehener Seide, aus geblümtem Satin, schwerem Chenille und aus kompliziert gemustertem Brokat. Mein Herr zog die scharlachroten Bettvorhänge zu. Das Licht machte sie transparent. Rot und rot und wieder rot. Das sei seine Farbe, sagte er mir, so wie Blau von nun an die meine sein sollte.
Er umschmeichelte mich mit bildhaften Worten, die auf der ganzen Welt verstanden werden.
»Deine braunen Augen sind wie Bernstein, wenn sich das Licht des Feuers darin fängt«, flüsterte er. »O ja, nur schimmern sie dunkel wie zwei Spiegel, in denen ich mich selbst sehe, während sie, diese dunklen Pforten einer reichen Seele, ihre Geheimnisse wohl bewahren.« Ich hatte mich selbst zu tief in dem kühlen Blau seiner Augen und dem Glanz seiner korallenroten Lippen verloren.
Er lag neben mir, küsste mich, während seine Finger vorsichtig, ohne auch nur in einer Locke hängen zu bleiben, durch mein Haar glitten, so dass mir Schauer über die Kopfhaut liefen und sich zwischen meinen Beinen ausbreiteten. Seine Daumen, so hart und kalt, strichen über meine Wangen, über meine Lippen, meinen Kiefer, als wolle er mein Fleisch zum Leben erwecken. Er drehte meinen Kopf zur Seite und drückte mit genüsslichem Verlangen erstickte Küsse erst links, dann rechts in meine Ohrmuscheln.
Ich war noch zu jung für feuchte Freuden. Ich fragte mich, ob es eher so war, wie Frauen es empfinden. Ich dachte, es würde nie enden. Es war eine qualvolle Verzückung, derart seinen Händen ausgeliefert zu sein, unfähig, zu entkommen, zuckend und mich windend diese immer und immer wiederkehrende Extase
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