Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
zu erleben.
    Danach lehrte er mich Worte dieser neuen Sprache, den Namen für die kalten, harten Bodenplatten - Carrara-Marmor, der Bettvorhang war aus »gesponnener Seide«, die Bezeichnungen »Fische« und »Schildkröte« und »Elefant« galten für die Tiere, die auf die Kissen gestickt waren, und für den »Löwen«, der in den schweren Überwurf eingewirkt war.
    Hingerissen lauschte ich all den wichtigen und unwichtigen Einzelheiten, während er mir die Herkunft der Perlen erklärte, die auf meine Tunika gestickt waren: dass sie von den Austern im Meer stammten, dass kleine Jungen für diese erlesenen, runden, weißen Kostbarkeiten in die Tiefe tauchten und sie in ihrem Mund aus dem Wasser an die Oberfläche trugen. Smaragde kamen aus Minen im Untergrund der Erde. Männer töteten dafür. Und Diamanten erst, ah, sieh nur diese Diamanten! Mein Meister nahm einen seiner Ringe vom Finger und steckte ihn mir an. Seine Fingerspitzen strichen zärtlich über meinen Finger, als er sich versicherte, dass der Schmuck passte. Diamanten sind das weiße Feuer Gottes, sagte er. Diamanten sind rein. Gott. Was ist Gott? Der Schock fuhr mir durch den Körper. Meine Umgebung schien zu vergehen.
    Mein Meister beobachtete mich, während er sprach, und hin und wieder schien es mir, als hörte ich ihn ganz deutlich, obwohl er die Lippen nicht bewegt und keinen Ton von sich gegeben hatte. Ich wurde ganz aufgeregt. Gott? Lasst mich nicht an Gott denken. Seid Ihr mein Gott! »Euren Mund will ich spüren. Eure Umarmung«, flüsterte ich. Mein Verlangen überraschte und entzückte ihn.
    Mit einem leisen Lachen gab er mir nach und überschüttete mich mit duftigen, harmlosen Küssen. Sein warmer Atem strich als weicher Hauch über meine Lenden. »Amadeo, Amadeo, Amadeo«, murmelte er. »Was bedeutet der Name, Herr?«, fragte ich. »Warum nennt Ihr mich so?« Ich glaube, mein früheres Ich klang in diesen Worten mit, vielleicht war es aber auch nur der neugeborene junge Prinz, in Gold und feine Kleider gehüllt, der hier respektvoll, aber dennoch kühn seine Stimme erhob.
    »Von Gott geliebt«, antwortete er.
    Ach, das konnte ich nicht ertragen. Wieder Gott, dieser Gott, dem man nicht entkommen konnte! Ich war besorgt, von Panik erfasst. Er nahm meine ausgestreckte Hand und drehte meinen Finger dahin, wo neben uns ein verschlissenes Kissen lag, auf das mit glitzernden Perlen der Umriss eines geflügelten Kindes gestickt war. »Amadeo«, sagte er, »geliebt von dem Gott der Liebe.«
    In meinen neben dem Bett aufgehäuften Kleidern fand er die tickende Uhr. Er hob sie auf und betrachtete sie lächelnd. Selbst er hatte noch nicht viele solcher Uhren gesehen. Wirklich erstaunlich. Sie waren teuer genug, um königlichen Hoheiten zu genügen.
    »Du sollst alles haben, was du willst«, sagte er.
    »Warum?«
    Wieder war ein Lachen die Antwort. »Wegen deiner rötlichen Locken«, sagte er, indem er mein Haar liebevoll streichelte, »wegen deiner dunkelbraunen, geheimnisvollen Augen. Wegen deiner Haut wie frische Sahne, wegen deiner Lippen, die Rosenblättern gleichen.« Später in der Nacht erzählte er mir die Sagen von Eros und Aphrodite und schenkte mir eine trügerische Ruhe mit der Geschichte von Psyche, die von Eros geliebt wird und ihn zu ihrem Kummer nie bei Tageslicht sehen darf.
    Dann wanderte ich an seiner Seite durch kühle Flure. Seine Finger lagen fest auf meinen Schultern, während er mir die edlen, weißen Marmorstatuen seiner Götter und Göttinnen zeigte - sie alle Liebende, wie Daphne, deren geschmeidige Glieder sich in die Zweige eines Lorbeerbusches verwandelten, weil der Gott Apollo ihr verzweifelt nachstellte, und Leda, hilflos dem mächtigen Schwan ausgeliefert. Er führte meine Hände über die Rundungen des Marmors, über präzise gemeißelte, glatt polierte Gesichter, über aufregend hübsche Waden und über die kalten Furchen halb geöffneter Lippen. Und dann legte er meine Finger an sein eigenes Gesicht. Er schien selbst eine lebende, atmende Statue zu sein, nur noch wunderbarer gebildet als die anderen, und als er mich mit seinen kraftvollen Händen hochhob, strömte mir eine intensive Hitze entgegen, die Hitze seines duftenden Atems, unter den sich Seufzen und gemurmelte Worte mischten. Nach einer Woche konnte ich mich nicht mehr an ein einziges Wort meiner Muttersprache erinnern.
    In einem Ansturm von Eindrücken stand ich auf der Piazza. Ich schaute gefesselt zu, wenn der Große Rat von Venedig seine Parade

Weitere Kostenlose Bücher