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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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hatte ich die eisige Härte seines Körpers mehr geliebt als jetzt, in diesem Fieberzustand, und ich schlang die Arme um ihn und presste meine Wange gegen die seine.
    Er reichte mir ein heißes, gewürztes Getränk aus einem gewärmten Becher. Und dann küsste er mich und bot mir noch einmal den Becher. In meinem Körper breitete sich ein heilendes Feuer aus. Doch am Abend, als er zurückkehrte, war das Fieber wieder gestiegen. Ich hatte nicht das Gefühl, zu träumen, als ich, halb wach, halb schlafend, durch grässliche, dunkle Flure wanderte, auf der vergeblichen Suche nach einem Ort, der warm oder sauber war. Unter meinen Fingernägeln klebte Schmutz. Einmal sah ich eine Schaufel in eifriger Tätigkeit, und ich sah lockere Erde, und ich hatte Angst, diese Erde würde mich zudecken, und ich begann zu weinen.
    Riccardo wachte bei mir, er hielt meine Hand und versicherte mir, dass es bald Nacht wäre, und dass dann ganz bestimmt unser Meister käme.
    »Amadeo«, sagte unser Gebieter. Er hob mich hoch, als wäre ich nur ein kleines Kind.
    Zu viele Fragen regten sich in meinem Kopf. Würde ich sterben? Wohin brachte mich mein Herr? Er hatte mich in Samt und Pelze eingehüllt und trug mich davon, aber wie nur?
    Wir waren in einer Kirche in Venedig, umgeben von Gemälden unserer eigenen Epoche. Kerzen brannten. Männer beteten. Unser Gebieter drehte mich in seinen Armen zum Altar und befahl mir, das große Gemälde darüber anzusehen. Blinzelnd, mit brennenden Augen, gehorchte ich und sah in der Höhe die Jungfrau, die von ihrem geliebten Sohn, von Christus, unserem König, gekrönt wurde. »Sieh nur ihr liebliches Antlitz, sieh ihren naturgetreuen Gesichtsausdruck«, flüsterte mein Herr. »Sie sitzt dort gerade so, wie man hier in der Kirche säße. Und die Engel, sieh sie dir an, die strahlenden Knaben, die sich um die Säulen unterhalb drängen. Sieh nur die Heiterkeit und Güte in ihrem Lächeln! Das ist das Himmelreich, Amadeo. Das ist das Gute.«
    Meine schweren Augen glitten über das Bildnis. »Sieh nur den Apostel, der so ganz unbefangen dem Mann neben ihm etwas zuflüstert, genau wie man sich bei einer solchen Zeremonie verhalten würde. Und sieh dort oben Gottvater, wie zufrieden er auf alle niederschaut.« Ich kämpfte um Formulierungen, wollte sagen, dass das unmöglich sein konnte, diese Verbindung des Fleischlichen mit der himmlischen Glückseligkeit, aber ich fand nicht die richtigen Worte. Die nackten Engelsknaben waren entzückend und unschuldsvoll, doch ich konnte dem keinen Glauben schenken. Das war eine Lüge, die diese Stadt Venedig, eine Lüge, die diese Welt des Westens ersonnen hatte, eine Lüge des Teufels in Person.
    »Amadeo«, fuhr mein Herr fort, »was auf Leiden und Grausamkeit gründet, kann nicht gut sein. Nichts kann gut sein, was seine Wurzeln in der Not und Entbehrung hat, die kleine Kinder leiden müssen. Amadeo, überall erwächst Schönheit nur aus der Liebe Gottes. Sieh nur diese Farben an, es sind die Farben, die Gott geschaffen hat!« Mit baumelnden Beinen, die Arme um seinen Hals geschlungen, lag ich sicher an seiner Brust und ließ die Details des großen Al tarbildes in mein Bewusstsein sinken. Hin und her, her und hin glitten meine Blicke über die kleinen Feinheiten, die mir besonders gut gefielen. Ich hob einen Finger und zeigte: da, der Löwe, der so friedvoll zu Füßen des heiligen Markus kauert, und da, die Seiten seines Buches! Sie bewegen sich tatsächlich beim Umblättern. Und der Löwe ist zahm und sanft wie ein freundlicher Haushund.
    »Das ist das Himmelreich, Amadeo«, versicherte mir mein Herr. »Was die Vergangenheit auch in deine Seele geprägt hat, lass es los.« Ich lächelte und hob den Blick zu den Heiligen, ach, ganzen Reihen von Heiligen, und begann zu lachen, lachte leise und vertraulich in das Ohr meines Gebieters.
    »Sie reden alle, sie murmeln und sprechen miteinander, als wären sie venezianische Senatoren.«
    Er antwortete mit einem leisen, unterdrückten Lachen. »Ach, Amadeo, ich glaube, die Senatoren sind förmlicher. Ich habe sie nie so ungezwungen gesehen, doch im Himmel ist es so, wie ich dir schon gesagt habe.«
    »Ach, Herr, seht nur! Einer der Heiligen hält eine Ikone, eine wunderschöne Ikone. Herr, ich muss es Euch sagen -« Ich brach ab. Das Fieber stieg an, der Schweiß brach mir am ganzen Körper aus. Meine Augen brannten, und ich konnte nicht sehen. »Herr«, sagte ich, »ich bin in der Wildnis. Ich renne. Ich muss es zwischen den

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