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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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weil der Wind es aufpeitschte und das Meer in die Stadt trieb. Ich hörte auch, wie ein hölzerner Kahn hartnäckig gegen ein Dock schlug. Er löste seine Finger, und ich schlug die Augen auf.
    Wir hatten den Palazzo weit hinter uns gelassen. Ich war ziemlich betroffen über die große Entfernung, die wir zurückgelegt hatten, obwohl ich nicht wirklich überrascht war. Er konnte Wunder wirken, und nun durfte ich eben dieses hier erleben. Wir standen auf einem schmalen, abgelegenen Landungssteg an einem Nebenkanal. In diesen schäbigen Stadtteil, in dem nur Arbeiter lebten, hatte ich mich bisher nicht gewagt. Auch jetzt sah ich nur die Hintereingänge und eisenbeschlagenen Fenster der Häuser, und überall bemerkte ich Verwahrlosung und Schmutz und übelste Gerüche, da Abfälle auf dem wellenbewegten Wasser des vom Winterwind aufgewühlten Kanals schwammen.
    Mein Herr zog mich mit sich fort vom Uferrand, einen Moment lang konnte ich nichts sehen. Dann stieß seine weiße Hand blitzartig vor, und ich sah seinen ausgestreckten Finger auf einen Mann weisen, der in einer verfallenen, am Ufer aufgebockten Gondel schlief. Der Mann rührte sich und stieß seine Decke fort. Undeutlich nahm ich seinen verzerrten, gestikulierenden Umriss wahr. Er murrte und fluchte, weil wir es gewagt hatten, seinen Schlaf zu stören.
    Ich griff nach meinem Dolch. Ich sah die Klinge des anderen aufblitzen. Doch die quarzweiß schimmernde Hand meines Gebieters schien nur das Gelenk des Mannes zu berühren und schon flog dessen Waffe im hohen Bogen fort und rutschte über das Pflaster. Verwirrt und wütend setzte der Mann zu einem weit ausholenden, ungeschickten Hieb an, um meinen Herrn von den Füßen zu holen. Doch der fing ihn mit Leichtigkeit ab, als wäre der Angreifer nur ein dicker, übel riechender Ballen Wolle. Ich beobachtete das Gesicht meines Herrn. Er öffnete den Mund, zwei kleine scharfe Zähne erschienen, und als er zubiss, bohrten sie sich w ie Dolche in die Kehle des Mannes. Der Mann stieß einen kurzen Schrei aus, dann bewegte er sich nicht mehr.
    Verwundert und gebannt schaute ich zu, wie mein Herr die glatten Lider mit den goldenen Wimpern schloss, die im nächtlichen Dunkel wie Silber schimmerten. Ich vernahm ein leises, saugendes Geräusch, es war kaum hörbar, erzeugte aber die grässliche Vorstellung von etwas Fließendem, und das Etwas musste das Blut des Mannes sein. Mein Herr presste sich enger an sein Opfer, seine deutlich sichtbaren, weißen Finger strichen mit liebkosenden Bewegungen den Lebenssaft aus dem sterbenden Körper, während er einen genüsslichen Seufzer ausstieß. Er trank. Er trank, das war unverkennbar. Er drehte sogar den Kopf ein wenig, als sollten die letzten Blutstropfen noch geschwinder hervorquellen. Daraufhin fuhr durch den Leib des Mannes, der schon sichtlich schwach und schlaff war, ein Schauder wie ein letztes Aufzucken, und dann regte er sich nicht mehr.
    Mein Herr richtete sich auf und fuhr mit der Zunge über seine Lippen. Kein Tropfen Blut war zu sehen. Und doch war das Blut sichtbar. Es war sichtbar in meinem Herrn. Sein Gesicht überzog sich mit einem blühenden Schimmer. Er drehte sich zu mir um und schaute mich an, und ich konnte die lebhafte Röte seiner Wangen, die schwellenden, glänzenden Lippen sehen. »Dies ist der Quell meiner Kraft, Amadeo.« Er stieß den Leichnam in meine Richtung, die schmuddeligen Lumpen streiften mich, und als der Kopf des Mannes im Tode schwer zurücksank, schob er ihn noch dichter an mich heran, so dass ich gezwungen war, das grobe, leblose Gesicht des Unglücklichen zu betrachten. Er war jung und bärtig, nicht schön, er war bleich, und er war tot.
    Ein weißer Saum schaute unter den schlaffen, ausdrucksleeren Lidern hervor. Klebriger Speichel hing an seinen gelben, fauligen Zähnen und dem farblosen Mund, der nun nicht mehr atmete.
    Ich war sprachlos. Furcht, Ekel - diese beiden Empfindungen waren allerdings nicht der Auslöser. Ich war einfach erstaunt. Wenn ich etwas dachte, dann, dass es irgendwie wundersam war.
    In einem plötzlichen Anfall von Zorn schleuderte mein Gebieter den toten Körper zur Seite, ins Wasser, wo er beim Aufprall ein dumpf platschendes und gurgelndes Geräusch erzeugte.
    Mein Herr riss mich an sich, und dann war es, als versänken die Fenster unter mir. Beinahe hätte ich geschrien, als wir uns über die Dächer erhoben. Seine Hände verschlossen mir den Mund. Er bewegte sich so rasch aufwärts, als wenn ihn irgendetwas

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