Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
dümmlich, aber gleichermaßen voller Eifer und Scham ringen sie jeder eines der wertvollen Stücke auf.
Die Türen flogen auf und krachten gegen die Wand. Dicht am Rahmen entlang schlichen die Musiker sich hinaus.
»Das ist ja raffiniert!«, bemerkte der Mann mit der Hammelkeule, die er nun aber endlich beiseite legte, da er das letzte Fleisch abgeknabbert hatte. »Wie macht Ihr das, Marius de Romanus? Ich hörte. Ihr seid ein mächtiger Zauberer. Keine Ahnung, warum der Große Rat Euch nicht schon längst wegen Zauberei angeklagt hat. MUSS wohl mit Eurem vielen Geld zusammenhängen, oder?« Ich starrte meinen Gebieter an. Nie zuvor hatte ich ihn so gesehen. Er sah hinreißend aus mit dieser rosigen Farbe, die das frische Blut seinem Teint verliehen hatte. Ich hätte ihn gern berührt. Ich wollte in seine Arme sinken. Seine Augen blickten mich trunken und zärtlich an. Doch er löste seinen verführerischen Blick von mir und schritt zur Tafel zurück und um sie herum, bis er neben dem Mann stand, der die ganze Zeit so genüsslich geschmaust hatte.
Der Grauhaarige schaute zu ihm auf, dann warf er einen Blick auf seinen rothaarigen Gefährten, und sagte zu ihm: »Seid nur kein Narr, Martino, vielleicht ist es in Venedig ganz legal, wenn man ein Hexer ist, solange man seine Steuern bezahlt. Ihr solltet Euer Geld in Martinos Bank anlegen, Marius de Romanus.«
»Oh, das habe ich schon, und es bringt mir ganz gute Zinsen«, sagte Marius de Romanus, mein Herr. Er setzte sich wieder auf den Platz zwischen dem Toten und dem Rotschopf, der ganz entzückt und aufgeregt zu sein schien, ihn erneut am Tisch zu haben.
»Martino«, sagte mein Herr. »Wir wollen noch ein wenig über den Sturz des Reiches sprechen. Euer Vater - warum war er bei den Genuesen?«
Der Rothaarige, der sich sichtlich für diese Diskussion begeisterte, erklärte voller Stolz, dass sein Vater als Vertreter der Bank, dem Familienbesitz, in Konstantinopel gewesen war, und dass er später auf Grund der Verwundungen, die er an jenem letzten schrecklichen Tag erlitten hatte, gestorben war.
»Er hat alles gesehen«, sagte er, »er sah, wie sie Frauen und Kinder abgeschlachtet haben. Er s ah, wie sie die Priester von den Altären der Hagia Sophia weggezerrt haben. Und er kennt das Geheimnis.«
»Geheimnis!«, sagte der Ältere verächtlich. Er beugte sich über den Tisch und schob mit einem kräftigen Schwung seines Armes den Toten von der Bank, so dass dieser rücklings auf den Boden prallte. »Mein Gott, Ihr herzloses Vieh«, schimpfte der Rothaarige. »Habt Ihr das gehört? Ihr habt ihm den Schädel zerschmettert! Behandelt meine Gäste nicht so, wenn Ihr noch eine Weile leben möchtet.« Ich ging näher zum Tisch.
»Ja, komm doch her, mein Hübscher«, sagte der Rote. »Setz dich.« Er wandte mir seine flammenden, goldfarbenen Augen zu. »Setz dich hierher, mir gegenüber. Mein Gott, nun schaut Euch Francesco an! Ich schwöre, ich habe gehört, wie sein Schädel brach.«
»Er ist tot«, sagte Marius sanft. »Es ist schon gut, macht Euch keine Gedanken.« Sein Gesicht strahlte noch heller durch das Blut, das er getrunken hatte, und hatte eine gleichmäßige Färbung angenommen, ja, es leuchtete regelrecht, und sein Haar s chien noch blonder neben der rosigen Haut. Nichts konnte von der anbetungswürdigen Schönheit seiner Augen ablenken, auch nicht die feinen, spinnwebgleichen Äderchen, die sich jetzt darin ausgebreitet hatten.
»Oh, recht so, fein, sie sind tot«, sagte der Rothaarige mit einem Achselzucken. »Also, ich erzählte Euch gerade etwas, und Ihr solltet, verdammt noch mal, besser auf meine Worte Acht geben, denn ich weiß, wovon ich rede. Es waren die Priester - die Priester, eben die nahmen den Abendmahlskelch und die geweihten Hostien mit sich und begaben sich in ein Versteck in der Hagia Sophia. Mein Vater hat es mit seinen eigenen Augen gesehen. Deshalb weiß ich von dem Geheimnis.«
»Augen, Augen, Augen!«, sagte der Ältere. »Euer Vater muss ein Pfau gewesen sein, so viele Augen, wie er hatte!«
»Haltet den Mund, oder ich schlitze Euch die Kehle auf«, drohte der Rothaarige. »Seht, was mit Francesco passiert ist, als Ihr ihn derart niedergestoßen habt. Mein Gott!« Er machte ein nachlässiges Kreuzzeichen. »Aus seinem Hinterkopf fließt Blut.«
Mein Herr beugte sich hinab und zog seine Fingerspitzen durch das Blut. Er wandte sich langsam erst mir, dann dem Rothaarigen zu, dabei lutschte er das Blut von einem Finger.
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