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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Scheiterns und meiner Niederlage, denn das ist ein und dasselbe, und außerdem ist es eine Lehre für dich. Nur selten wird mir so tiefe Einsicht und Klarheit zuteil wie heute.« Der Rothaarige beugte sich zu mir herüber, in sein Tändeln mit mir vertieft, und legte mir den Becher an die Lippen. »Kleiner David, du wirst König sein, wenn du groß bist, erinnerst du dich? Ach, ich möchte dich jetzt schon anbeten, du samtwangiger junger Mann, und dich um einen Psalm aus deiner Harfe bitten, nur einen, wenn du ihn denn aus freiem Willen schenktest.« Mein Herr flüsterte leise: »Kannst du einem Sterbenden seine letzte Bitte erfüllen?«
    Mit dickköpfiger Lautstärke kam es von dem Grauhaarigen: »Schaut, Martino, ich glaube, ich habe ihn doch getötet. Sein Kopf blutet wie eine verdammte Safttomate. Seht!«
    »Ach, hört doch endlich auf davon!«, sagte der rothaarige Martino, ohne die Augen von mir zu wenden. »Erfülle einem Sterbenden seine Bitte, kleiner David«, fuhr er fort. »Wir sterben alle, und ich besonders für dich, und wie wär’s, wenn du mit mir stürbest, den kleinen Tod, junger Herr, in meinen Armen? Wir können ein Spiel daraus machen. Es wird Euch amüsieren, Marius de Romanus. Ihr werdet sehen, ich reite ihn und striegle ihn geschickt im gleichen Takt, und dann seht Ihr das Schauspiel, wie eine Skulptur aus Menschenfleisch zum Brunnen wird, denn was ich in ihn hineinpumpe. Hießt durch meine Hand aus ihm heraus.«
    Dabei machte er eine Geste, als halte er mein Glied bereits in seiner Hand. Immer noch hafteten seine Augen auf mir. Dann, mit einem kaum hörbaren Flüstern: »Meinem Fleisch mangelt es an Härte für diese Skulptur. Lass mich von dir trinken. Hab Erbarmen mit einem Verdurstenden.«
    Ich riss ihm den Becher aus der unsicheren Hand und trank ihn aus. Mein ganzer Körper versteifte sich, und ich dachte, mir käme der Wein im hohen Bogen wieder hoch. Ich zwang mich, zu schlucken. Ich sah meinen Herrn an. »Das ist widerlich, ich hasse es.«
    »Ach, Unsinn«, antwortete er. Seine Lippen bewegten sich kaum. »Ich sehe nur Schönheit ringsum.«
    »Verdammt will ich sein, wenn er nicht tot ist«, beharrte der Grauhaarige. Er trat den toten Francesco. »Martino, ich verschwinde jetzt.«
    »Bleibt, mein Herr«, sagte Marius. »Ich würde Euch gern einen GuteNacht-Kuss geben.« Er legte seine Hand über das Handgelenk des anderen und stürzte sich auf dessen Kehle. Doch wie sah das für den Rotschopf aus, der dem Geschehen nur einen verschwommenen Blick schenkte, ehe er mich weiter anhimmelte? Er füllte meinen Becher aufs Neue.
    Der Grauhaarige gab ein leises Stöhnen von sich. Oder kam es von Marius?
    Ich war wie versteinert. Wenn er sich von seinem Opfer löste, würde ich das Blut noch stärker als zuvor in ihm pulsieren sehen, und ich hätte alles in der Welt dafür gegeben, ihn wieder weiß zu sehen wie früher, meinen marmornen Gott, meinen statuengleichen Vater in unserem heimlichen Bett.
    Der Rothaarige stand auf und beugte sich über den Tisch, um seine feuchten Lippen auf die meinen zu drücken. Dabei sagte er: »Ich sterbe um deinetwillen. Junge!«
    »Nein, du stirbst um nichts«, sagte Marius.
    »Herr, bitte, nicht den!«, rief ich.
    Ich sank zurück auf die Bank und verlor beinahe das Gleichgewicht, denn der Arm meines Herrn war plötzlich zwischen dem rothaarigen Martino und mir, und seine Hand umfing dessen Schulter. »Was ist das für ein Geheimnis, mein Herr?«, rief ich fiebrig erregt. »Was ist das Geheimnis der Hagia Sophia, das, was wir Euch glauben sollen?«
    Der Rothaarige war völlig verwirrt. Er wusste, dass er betrunken war. Er wusste, dass einige Dinge hier keinen Sinn ergaben. Aber er dachte, es läge an seiner Trunkenheit. Er betrachtete Marius’ Arm, der vor seiner Brust lag, und er wandte sogar den Kopf und betrachtete die Finger, die seine Schulter umfassten. Dann schaute er Marius an, so wie ich auch.
    Marius war ein Mensch, ganz und gar. Keine Spur mehr war von dem undurchdringbaren, unzerstörbaren Gott übrig. Seine Augen und sein Gesicht glühten von dem Blut. Er war erhitzt wie jemand, der gerannt war, seine Lippen waren blutig, und als er sich darüber leckte, zeigte er eine blutrote Zunge. Er lächelte Martino an, den letzten der Männer, den einzigen, der noch lebte.
    Martino riss seinen Blick von Marius los und sah mich an. Sofort ließ seine Spannung nach und seine Beunruhigung wich. Er sprach mit Ehrerbietung: »Auf dem Höhepunkt des Angriffs,

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