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Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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war wie toll. Ich fühlte mich wie ein Teufel. Mich kümmerte nichts. Merrick hatte die Maske. Sie hatte die Maske, die einen befähigte, Geister zu sehen. Sie hatte sie! Onkel Vervain war nicht stark genug gewesen, sie sich zu holen, ich wusste es. Und das Gleiche galt für Cold Sandra und für Honey und Matthew. Die Geister hatten sie damals vertrieben. Schweigend presste Merrick die Maske an ihre Brust und schritt voran. Wie unwegsam der Boden auch war, wie fürchterlich die Hitze, wir hörten nicht auf zu laufen, bis wir den Jeep erreicht hatten.
    Erst da öffnete sie den Rucksack und schob die Maske hinein. Sie legte den Rückwärtsgang ein, setzte zurück, wendete und raste in wildem, halsbrecherischem Tempo Santa Cruz del Flores entge gen. Ich blieb still, bis wir beide in unserem Zelt allein waren.

15
    Merrick ließ sich auf das Feldbett fallen und sagte und tat erst einmal gar nichts. Dann langte sie nach der Flasche mit dem Florde-Cana-Rum und nahm einen kräftigen Schluck. Im Moment zog ich Wasser vor, und obwohl wir längere Zeit im Wagen gesessen hatten, hämmerte mein Herz immer noch. Während ich versuchte, wieder zu Atem zu kommen, wurde mir mein Alter elendig bewusst.
    Eine Weile später wollte ich darüber sprechen, was wir getan hatten und wie wir dabei vorgegangen waren, doch Merrick bedeutete mir zu schweigen.
    Ihr Gesicht war gerötet. Sie sah aus, als ob auch sie Herzbeschwerden hätte, doch dem war bestimmt nicht so. Sie nahm noch einen großen Schluck von dem Rum. Ihre Wangen flammten, als sie mich ansah. Ich saß auf meiner Pritsche ihr gegenüber. Merricks Gesicht war schweißnass. »Was hast du durch die Maske gesehen?«, fragte sie schließlich. »Ich sah sie alle!«, antwortete ich. »Ich sah einen weinenden Mann, einen Priester vielleicht, oder einen König, vielleicht aber auch nur jemanden ohne Bedeutung, der allerdings feine Gewänder trug. Und schöne Armbänder. Er flehte mich an. Er war bekümmert und elend. Er ließ mich wissen, dass wir etwas Schreckliches taten. Er ließ mich wissen, dass die Seelen der Toten an diesem Ort verweilen!«
    Merrick lehnte sich, auf ihre Arme gestützt, mit vorgewölbter Brust zurück. Ihre Augen waren auf das Zeltdach gerichtet. »Und du?«, fragte ich. »Was hast du gesehen?« Sie setzte zu einer Antwort an, schien jedoch nicht sprechen zu können. Sie richtete sich wieder auf und griff nach ihrem Rucksack, dabei huschten ihre Augen rastlos hin und her, und was ihr Gesicht ausdrückte, konnte man treffend nur als verstört bezeichnen.
    »Hast du dasselbe gesehen?«, wollte ich wissen. Sie nickte, dann öffnete sie den Rucksack und nahm die Maske heraus, so vorsichtig, dass man meinen konnte, sie bestünde aus Glas. Hier nun, im Zelt, in dem gedämpften Tageslicht, das durch eine einzelne, einen goldenen Schein verbreitende Lampe unterstützt wurde, sah ich erst, wie präzise und wie tief die Gesichtszüge in den Stein geschnitten waren. Die Lippen waren voll und breit und wie zu einem Schrei geöffnet. Die gewölbten Bögen über den Augenhöhlen verliehen dem Antlitz jedoch nicht den Ausdruck von Erstaunen, sondern von ruhevoller Gelassenheit. »Schau her«, sagte Merrick, indem sie die Finger durch eine Öffnung oben an der Stirn der Maske steckte und dann auf die Löcher über den Ohren deutete, »sie wurde festgebunden, sehr wahrscheinlich mit Lederbändern. Sie wurde nicht einfach auf das Gesicht des Toten gelegt.«
    »Und was, meinst du, hat das zu bedeuten?«
    »Dass sie dem Mann schon gehörte, als er noch lebte. Er benutzte sie, um damit Geister zu sehen. Sie gehörte ihm, und er wusste, dass die Zauberkraft, die ihr innewohnte, nicht für jedermann bestimmt war. Er wusste, dass dieser Zauber Schaden anrichten konnte.«
    Merrick drehte die Maske um und hob sie empor. Offensichtlich wollte sie sie wieder aufsetzen, aber irgendetwas ließ sie zögern. Schließlich stand sie auf und ging zum Zelteingang, der einen schmalen Spalt offen stand, so dass sie hinausschauen und den schmalen Lehmpfad entlang zu dem kleinen Dorfplatz schauen konnte.
    »Komm schon«, sagte ich, »schau hindurch, oder gib sie mir, dann mache ich es.«
    Zögernd hob Merrick die Maske und drückte sie für eine Weile fest gegen ihr Gesicht. Dann riss sie sie förmlich mit einem Ruck herunter und ließ sich erschöpft auf ihr Feldbett sinken, als ob dieses kleine Unternehmen, das doch nur ein paar Augenblicke gedauert hatte, ihre Kraft unendlich gefordert hätte. Wieder

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