Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
eine Lampe durch die Schlaufe an meinem Gürtel und gab Merrick die andere zurück. Dann nahm ich die Maske mit beiden Händen entgegen. Diese kleinen Gesten haben sich mir so eingeprägt, weil sie derart normal und gewöhnlich waren. Was ich allerdings von der Stille ringsum oder dem uns umgebenden Dämmerlicht halten sollte, wusste ich nicht. Weit, weit vorn war das Grün des Dschungels zu sehen, und allenthalben über uns und um uns herum funkelten die winzigen Steinstückchen der herrlichen, wenn auch grob gearbeiteten Mosaiken. Ich hob die Maske, wie Merrick es mir gesagt hatte. Eine Art Schwindel, wie ein Schweben, überkam mich. Ich ging ein paar Schritte rückwärts, doch was ich sonst noch tat, weiß ich nicht. Die Maske blieb an ihrem Platz, und meine Hände hielten sie umfasst, aber alles andere hatte sich auf subtile Weise verändert. Überall in der Höhle flackerten Fackeln, etwas wie ein dumpfes, immer wiederkehrendes Psalmodieren ertönte, und vor mir in der Dunkelheit stand eine Gestalt. Der Körper waberte, als sei er nicht stofflich, sondern wie aus zarter Seide, die sich in dem leichten Zugwind vom Höhleneingang her bewegte. Ich vermochte die Miene des Wesens deutlich zu erkennen, wenn ich für den Ausdruck auch keine Erklärung hatte und nicht sagen konnte, welcher Zug genau im Gesicht dieses jungen Mannes lag, welche Gefühlsregung es ausdrückte oder wie sie zustande kam. Er bat mich mit stummer Beredsamkeit, die Höhle zu verlassen und die Maske dort zurückzulassen.
»Wir können sie nicht mitnehmen«, sagte ich. Oder besser, ich hörte mich die Worte sagen. Das Auf und Ab der Stimmen wurde lauter. Weitere Gestalten scharten sich um das unkörperliche, doch sehr entschlossene Wesen. Es schien mir, als streckte er mir flehendlich bittend die Arme entgegen. »Wir können die Maske nicht mitnehmen«, wiederholte ich. Der Mann hatte goldbraune Arme, mit wunderschönen Armbändern aus Stein behängt. Die dunklen Augen in dem ovalen Gesicht huschten flink umher. Ich sah Tränen auf seinen Wangen. »Wir können sie nicht mitnehmen«, sagte ich noch einmal, und dann spürte ich, wie ich fiel. »Wir müssen sie hier lassen. Wir müssen auch die Dinge zurückbringen, die ihr damals genommen habt!«
Gram und verzehrende Trauer vereinnahmten mich. Ich wollte mich niederfallen lassen. Das Gefühl war intensiv, und was ich fühlte, schien so richtig zu sein, dass ich es mit meiner ganzen Körperhaltung ausdrücken wollte. Doch kaum war ich zu Boden gesunken - zumindest meine ich, dass ich fiel -, als ich auch schon wieder hochgezerrt und mir die Maske fortgerissen wurde. Im einen Augenblick spürte ich sie noch zwischen meinen Fingern, vor meinem Gesicht, im nächsten war schon nichts mehr zu fühlen und nichts mehr sehen, nichts als fernes Sonnengeflacker auf grünem Blattwerk.
Die Gestalt war fort, das monotone Singen verstummt und der tief empfundene Kummer zerstoben. Merrick zerrte mit aller Kraft an mir.
»David, komm schon!«, sagte sie. »Komm weiter!« Sie duldete keinen Widerspruch. Und auch ich selbst verspürte das überwältigende Verlangen, mit ihr aus der Höhle zu entkommen, die Maske mitzunehmen, diesen Zauber zu stehlen, diesen unbeschreiblichen Zauber zu stehlen, durch den ich imstande gewesen war, die Geister, die an diesem Ort hausten, mit eigenen Augen zu sehen. Frech und niederträchtig, ohne die geringste Rechtfertigung, beugte ich mich im Gehen nieder, griff in die modrige Staubschicht des Bodens und stopfte mir eine Hand voll hell funkelnder Steinartefakte in die Taschen. Dann setzte ich meinen Weg fort. In Windeseile waren wir wieder draußen im Dschungel. Wir ignorierten die unsichtbaren Hände, die uns angriffen, ignorierten die wirbelnden Blätter und die drängenden Schreie der Brüllaffen, die klangen, als wollten sie sich dem Angriff anschließen. Ein schlanker Bananenbaum krachte auf unseren Weg nieder, doch wir stie gen darüber hinweg und hackten die anderen nieder, die sich herüberzubeugen schienen, als wollten sie uns ins Gesicht schlagen. In beachtlichem Tempo eilten wir durch den Mittelgang des Tempels. Wir rannten fast, bis wir endlich den kaum erkennbaren Pfad wiederfanden. Die Geister ließen weitere Bananenstauden in unsere Richtung schnellen. Ein Hagel von Kokosnüssen ging auf uns nieder, ohne zu treffen. Von Zeit zu Zeit wirbelte uns ein Kieselregen entgegen.
Dann ließ der Angriff langsam nach, bis nichts als ein klangloses Heulen mehr übrig war. Ich
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