Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
abgeworfen und aus seinen Schränken einen frischen dunkelbraunen Samtanzug und ein reines Leinenhemd genommen. Er hatte sein Haar entwirrt und gekämmt und neue Schuhe angezogen. Im Ganzen waren wir also recht ansehnlich, obwohl Merricks seidenes Kostüm einige Blutflecke aufwies. Die fielen jedoch kaum auf, da das Kleid rot war. Um den Hals trug sie schon seit Beginn des Abends das Geschenk, das ich ihr Jahre zuvor gemacht hatte die dreireihige Perlenschnur.
Ich empfand diese schlichten Details als tröstlich, und deshalb erwähne ich sie. Aber das Detail, das die erfreulichste Wirkung auf mich hatte, war Louis’ ruhevoller, verwunderter Gesichtsausdruck.
Ich will noch anmerken, dass Merrick von dem Blutverlust, den sie bei unseren gemeinsamen Anstrengungen erlitten hatte, sehr geschwächt war, und ich sah schon, dass sie bald ausgehen und in den düstersten und gefährlichsten Straßen der Stadt ihrer vampirischen Natur nachgehen musste, und ich hatte geschworen, dann an ihrer Seite zu sein.
Louis’ Auferstehung hatte ihre gesamte innere Zurückhaltung fortgewischt, schien mir, und sie kuschelte neben dem ansehnlichen Lestat auf dem Sofa, als ob sie am liebsten einschlafen würde. Wie gut sie den Durst verbirgt, den sie verspüren muss, dachte ich im Stillen, als sie auch schon den Kopf hob und mir einen Blick zuwarf. Sie hatte meine Gedanken gelesen. »Nur einen Schimmer davon«, sagte sie. »Ich will gar nicht mehr wissen.« Ich gab mir noch mehr Mühe, meine Gefühle zu verbergen, denn ich fand, dass es für uns alle am besten wäre, dieser Regel zu folgen, wie Louis und Lestat und ich es auch schon in der Vergangenheit gehalten hatten.
Schließlich war es Lestat, der das Schweigen brach. »Es ist nicht vollkommen«, sagte er, indem er Louis scharf ansah.
»Es gehört mehr Blut dazu.« Seine Stimme war nun kräftig und klang wunderbar vertraut. Er sprach wie gewohnt Amerikanisch. »Es fehlt noch etwas«, sagte er zu Louis, »es ist noch mehr Blut nötig. Du musst von mir trinken, und ich muss dir das Blut zurückgeben. Das ist erforderlich, damit ich dir meine ganze Kraft übertragen kann, ohne Verluste. Ich will, dass du das Blut nun entge gennimmst, ohne Widerspruch, um meinetwillen ebenso wie um deiner selbst willen.« Nur einen Augenblick lang wirkte Lestats Gesicht wieder so hager, als wäre er der Schlafwandler wie beim letzten Mal. Aber innerhalb von Sekundenbruchteilen kehrte seine Lebhaftigkeit zurück. Er wandte sich ganz zielstrebig an mich: »Und du, David, nimmst Merrick mit. Ihr geht aus, um zu trinken, damit ihr euren Blutverlust ausgleichen könnt. Lehre sie, David, was sie wissen muss, wenn ich auch annehme, dass sie sich schon mit allem gut auskennt. Ich denke, dass Louis sie letzte Nacht in der kurzen Zeit, die sie noch zusammen waren, gut instruiert hat.« Ich war sicher, dass Louis aus seinem ernsten Schweigen auffahren und gegen Lestats dominierende Art protestieren würde, aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen entdeckte ich an ihm ein sichtliches Selbstbewusstsein, das er vorher nicht gehabt hatte. »Ja«, sagte er energisch, »nur zu, gib mir so viel Blut wie möglich. Und was ist mit Merrick? Wirst du ihr ebenfalls dein mächtiges Blut geben?« Sogar Lestat war erstaunt über diesen leichten Sieg. Er stand auf. Ich nahm Merrick bei der Hand und wollte gehen. »Ja«, entgegnete Lestat, indem er sich das blonde Haar aus dem Gesicht schob. »Ich werde Merrick mein Blut geben, wenn sie es will. Merrick, ich versichere dir, dass das mein größter Wunsch ist. Aber du allein musst entscheiden, ob du die Dunkle Gabe ein weiteres Mal, und nun von mir, entgegennehmen willst. Wenn du erst einmal von mir getrunken hast, bist du ebenso stark wie David und Louis. Dann werden wir als Gefährten zueinander passen. Und genau das wünsche ich mir.«
»Ja, ich möchte es«, antwortete sie. »Aber zuerst muss ich jagen, nicht wahr?«
Er nickte und machte eine kleine Geste, die uns signalisierte, dass wir ihn mit Louis allein lassen sollten. Flink zog ich Merrick die eiserne Treppe hinab und hinaus, fort von unserem Viertel. Schweigend, nur vom aufreizenden Klicken ihrer hohen Absätze auf dem Pflaster begleitet, schritten wir dahin und waren bald in der vernachlässigten, schäbigen Umgebung ihres alten Hauses angekommen.
Doch das Haus betraten wir nicht. Wir gingen weiter. Endlich entschlüpfte Merrick ein helles Lachen, und sie hielt mich gerade lange genug an, um mir einen Kuss auf die
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