Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
herabhängenden Haare. Aber das alles war ihm nicht wichtig. Nichts war ihm wichtig außer der Gestalt in dem Sarg, und als Merrick aufweinte, streckte er, beinahe abwesend, den rechten Arm aus, legte ihn ihr um die Schulter und zog sie an seinen machtvollen Körper. Dabei sagte er: »Komm, komm, chérie. Er hat nur getan, was er wollte.«
    »Aber es ist schief gegangen!«, widersprach sie. Ihre Worte überstürzten sich. »Er ist zu alt, als dass ihn das Sonnenlicht eines einzigen Tages hätte töten können. Und er ist vielleicht in dieser verkohlten Hülle eingeschlossen, voller Furcht vor dem Kommenden. Wie ein Sterbender hört er uns womöglich in seiner fatalen Trance und kann nur nicht darauf reagieren.« Sie fuhr in jammervoll bit tendem Ton fort: »Er schreit vielleicht danach, dass wir ihm helfen sollen, und wir stehen hier und diskutieren und beten!«
    »Und wenn ich mein Blut jetzt in diesen Sarg fließen lasse was, glaubst du, kommt dann zu uns zurück?«, fragte Lestat sie. »Glaubst du, er kommt dann zu uns zurück? Glaubst du, dass dann unser Louis wieder aus diesen verbrannten Lumpen aufersteht? Was, wenn nicht, chérie ? Was, wenn es nur ein auf den Tod verwundeter Widergänger ist, den wir dann vernichten müssen?«
    »Entscheide dich für das Leben, Lestat«, sagte Merrick. Sie wandte sich ihm zu, löste sich von ihm und flehte: »Entscheide dich für das Leben, egal, in welcher Form! Entscheide dich für das Leben, und hol ihn zurück. Wenn er sterben wollte, kann das auch anschließend geschehen.«
    »Mein Blut ist zu mächtig, chérie«, sagte Lestat. Er räusperte sich und rieb sich den Staub von den Lidern. Dann fuhr er mit den Fingern durch sein Haar und wischte es grob aus seinem Gesicht. »Mein Blut wird aus dem, was da liegt, ein Monster machen.«
    »Tu’s!«, drängte sie. »Und wenn er sterben will, wenn er aufs Neue danach verlangt, dann werde ich ihm dienen bis zum Äußersten, das verspreche ich.« Wie verführerisch waren ihre Augen, ihre Stimme. »Ich werde einen Trank aus dem Blut giftiger Tiere, aus dem Blut wilder Tiere herstellen, den er schlucken kann. Ich werde ihm einen Trank einflößen, der ihn schlafen lässt, wenn die Sonne aufgeht.« Lange Zeit hielt Lestat seine strahlenden violetten Augen auf sie geheftet, als ob er ihren Willen, ihren Plan, sogar den Grad ihrer Betroffenheit überdächte, und dann richtete er seine Augen langsam auf mich.
    »Und du, mein Liebster? Was soll ich deiner Ansicht nach tun?«, fragte er. Sein Gesicht sah nun trotz seines Kummers schon lebhafter aus.
    »Ich weiß nicht«, erwiderte ich kopfschüttelnd. »Du bist hergekommen, und es ist deine Entscheidung, sie steht dir zu, weil du der Älteste bist, und ich bin dankbar, dass du hier bist.« Dann fiel ich den schrecklichsten, schwärzesten Vorstellungen zur Beute. Ich senkte den Blick auf die schwarze Gestalt und hob ihn kurz darauf wieder zu Lestat.
    »Wenn ich mich hätte töten wollen und es wäre fehlgeschlagen, ich würde es rückgängig machen wollen.«
    Was brachte mich dazu, eine solche Gefühlsregung auszusprechen? War es Furcht? Ich wusste es nicht. Aber mir war klar, dass es stimmte - als ob meine Lippen versucht hätten, meinem Herzen zu raten. »Ja«, fuhr ich fort, »wenn ich die Sonne hätte aufsteigen sehen und es überlebt hätte, wäre es gut möglich, dass ich mutlos geworden wäre - und Louis brauchte auch eine ganze Menge Mut.«
    Lestat schien das alles zu überdenken. Warum auch nicht? Schließlich hatte er sich einst selbst in einer fernen Wüste dem Sonnenlicht ausgesetzt, und nachdem er wieder und wieder von ihrer Glut verbrannt worden war, ohne Erlösung zu finden, war er zurückgekommen. Seine Haut zeugte mit ihrer goldenen Tönung immer noch von diesem schrecklichen, schmerzhaften Unglück. Noch viele Jahre lang würde er diesen Stempel tragen, den die Macht der Sonne ihm aufgedrückt hatte.
    Unter Merricks und meinen Blicken kniete er schließlich neben dem Sarg nieder. Er schob sich dicht an den Körper heran, lehnte sich dann jedoch wieder zurück. So wie Merrick zuvor berührte er ganz vorsichtig mit den Fingern die geschwärzten Hände - keine Spur blieb zurück. Langsam, sachte berührte er die Stirn, und auch dort hinterließ er keine Spur. Er richtete seinen Oberkörper auf und hob die rechte Hand zum Mund. Und ehe Merrick und ich noch wussten, was er vorhatte, zerfetzte er sich mit den eige nen Zähnen das Handgelenk. Ein dicker Blutstrom ergoss sich

Weitere Kostenlose Bücher