Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
legen.
»Morgen früh warten wir unten auf dich«, sagte ich ihr. »Wir möchten, dass du diesen Kaffee für uns kochst. Es war ja dumm von uns, dass wir bisher immer den falschen Kaffee getrunken haben. Wir weigern uns, ohne dich zu frühstücken. Und nun musst du schlafen.«
Sie schenkte mir ein dankbares, liebes Lächeln, wenn ihr auch immer noch Tränen über die Wangen liefen. Dann ging sie, ohne um Erlaubnis zu fragen, zu dem rüschenbehängten Schminktisch und nahm einen guten Schluck aus der Rumflasche, die zwischen den schicken Flakons völlig unpassend hervorstach. Als wir uns zum Gehen wandten, kam Mary auf mein Rufen, ein Nachthemd für Merrick schon bereit, und ich nahm den Alkohol an mich, dabei nickte ich Merrick zu, um sicherzugehen, dass sie es bemerkt hatte, damit wenigstens der Anschein einer Zustimmung ihrerseits gewährleistet wäre. Dann zogen Aaron und ich uns nach unten in die Bibliothek zurück.
Ich weiß nicht mehr, wie lange wir uns unterhielten. Eine Stunde vielleicht. Es ging um Lehrer, Schulen, Erziehungsprogramme, darüber, was Merrick tun sollte.
»Natürlich kommt eine Demonstration ihrer übersinnlichen Kräfte gar nicht in Frage«, sagte Aron bestimmt, als hätte ich das über seinen Kopf hinweg anordnen wollen. »Aber sie sind beträchtlich. Ich habe das den ganzen Tag gespürt, und auch gestern schon.«
»Ah. Aber da ist noch eine weitere Sache«, sagte ich und wollte gerade dieses Gefühl der seltsamen »Beunruhigung« vor ihm ausbreiten, die ich im Haus der Großen Nananne in der Küche gespürt hatte. Doch etwas ließ mich schweigen. Ich merkte, dass ich genau die gleiche Anwesenheit spürte - hier unter dem Dach des Mutterhauses.
»Was ist los, Mann?«, fragte Aaron, der meine Mimik ganz genau kannte und wahrscheinlich sogar in meinen Gedanken lesen konnte, wenn er es wirklich darauf anle gte. »Nichts«, gab ich zurück, und instinktiv und vielleicht aus dem selbstsüchtigen Verlangen heraus, heldenhaft zu sein, fügte ich hinzu: »Bleib bitte, wo du bist.«
Dabei erhob ich mich und trat durch die offene Tür der Bibliothek in den Korridor hinaus.
Aus der oberen Etage drang von ziemlich weit hinten ein hämisches, gellendes Lachen. Das Lachen einer Frau, zweifellos, nur dass ich es nicht Mary oder den anderen weiblichen Ordensmit gliedern zuschreiben konnte, die zurzeit hier im Hause lebten. Mary war sowieso im Hauptgebäude die einzige Frau. Die ändern hatten sich schon vor geraumer Zeit zum Schlafen in die zu den Außenanlagen gehörenden »Sklavenquartiere« und Cottages begeben, die in einiger Entfernung vom hinteren Ausgang lagen. Wieder hörte ich das Lachen, wie als Antwort auf meine Zweifel. Aaron tauchte neben mir auf. »Das ist Merrick«, sagte er argwöhnisch.
Dieses Mal sagte ich gar nicht erst, dass er zurückbleiben solle. Er folgte mir die Treppen hinauf. Die Tür zu Merricks Zimmer stand offe n, die Lampen waren an und ließen einen hellen Lichtstreifen in den langen, breiten Korridor fallen.
»Los, kommt rein«, sagte eine frauliche Stimme, als ich zögerte; was ich dann jedoch sah, erschreckte mich ungemein. Vor dem Schminktisch saß, von Zigarettenrauch umnebelt, eine junge Frau in höchst verführerischer Pose, ihr jugendlicher, frühreifer Körper wurde nur spärlich von einem weißen Baumwollunterrock verhüllt, dessen dünner Stoff die vollen Brüste mit den rosa Brustwarzen und den dunklen Schatten zwischen den Beinen kaum verbarg.
Natürlich war es Merrick, aber eigentlich war sie es überhaupt nicht. Mit der rechten Hand führte sie die Zigarette an die Lippen und nahm mit der Lässigkeit des gewohnheitsmäßigen Rauchers einen tiefen Zug, dann stieß sie gemächlich den Rauch aus. Mit emporgezogenen Augenbrauen sah sie mich an, und ihre hübschen Lippen waren zu einem höhnischen Grinsen verzerrt. Der Ausdruck des Gesichts war tatsächlich so völlig untypisch für die Merrick, wie ich sie kannte, dass dieser Anblick an sich schon entsetzen konnte. Man konnte sich nicht vorstellen, dass eine noch so gute Schauspielerin ihre Züge so eindrucksvoll verändern könnte. Und die Stimme, die aus diesem Körper hervordrang, war dunkel und verführerisch.
»Gute Zigaretten, Mr. Talbot, Rothmans, nicht wahr?« Ihre rechte Hand spielte mit der Schachtel, die sie aus meinem Zimmer entwendet hatte. Die Frauenstimme fuhr fort, kalt, völlig gefühllos und mit leicht spöttischem Unterton: »Matthew rauchte auch immer Rothmans, Mr. Talbot. Er ging
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