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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wortlos, nur durch die Gabe des Geistes ließ er Thorne wissen, dass er selbst stets nur die Übeltäter jagte.
    »Auf diese Weise habe ich meinen Frieden mit der Welt«, sagte er. »Und nur so gelingt es mir, weiterzuleben. Ich benutze die Gabe des Geistes, um Jagd auf die Sterblichen zu machen, die getötet haben. Und die kann ich in den großen Städten immer finden.«
    »Und für mich ist es der Kleine Trunk«, sagte Thorne. »Sei beruhigt. Ich brauche keine gierigen Gelage. Ich trinke von vielen, sodass keiner sterben muss. So habe ich jahrhundertelang unter dem Schneevolk gelebt. Als junger Bluttrinker konnte ich das noch nicht. Ich trank zu schnell und rücksichtslos. Aber dann lernte ich es – dass mir keine Seele gehört. Und so konnte ich vorgehen wie eine Biene, die von Blume zu Blume wandert. Ich gewöhnte mir an, in die Schenken zu gehen, wo viele Leute zusammen waren, und dann trank ich von einem nach dem andern.« Marius nickte.
    »Das nenne ich guten Stil«, sagte er mit einem kleinen Lächeln. »Für ein Kind Thors bist du barmherzig.« Sein Lächeln vertiefte sich. »Wahrhaft barmherzig.«
    »Verachtest du meinen Gott?«, fragte Thorne höflich.
    »Nein, ich denke nicht«, antwortete Marius. »Ich sagte dir, dass mir die Götter Roms abhanden kamen, aber in Wahrheit waren sie nie meine Götter. Meine allzu kühle Natur gestattete mir keine Götter. Und da ich keine wahren eigenen Götter habe, spreche ich von allen Göttern, als wären sie nur Dichtung, Gesänge. Thors Gesang war der Gesang des Krieges, nicht wahr? Endlose Schlachtengesänge und Gelärme im Himmel.«
    Thorne konnte sein Vergnügen an dem Gespräch nicht verhehlen. Durch die Gabe des Geistes war es ihm nicht möglich, sich so präzise auszudrücken, und deshalb beeindruckten ihn die Worte Marius’ nicht nur, sondern sie verwirrten ihn auch ein wenig, was er aber wunderbar fand.
    »Ja, so waren Thors Gesänge«, sagte er, »aber nichts war so klar und bestimmt wie der Klang des Donners in den Bergen, wenn er seinen Hammer schwang. Und wenn ich nachts aus meines Vaters Haus allein in den Wind und den Regen hinausging, wenn ich furchtlos in die Berge hinaufstieg, um diesem Donner zu lauschen, dann wusste ich, dass der Gott da war, und das war etwas ganz anderes als nur Gesänge.« Er hielt inne. Im Geiste sah er das Land, das seine Heimat war. Er sah seine Jugend. »Ich hörte auch andere Götter«, sagte er leise. Er sah Marius nicht an. »Odin, der der Wilden Jagd voran über das Firmament fegte, und ich sah und hörte diese Geister an mir vorbeijagen. Ich habe sie nie vergessen.«
    »Kannst du sie immer noch sehen?«, fragte Marius. Er stellte es nicht in Frage, sondern aus ihm sprach reine Neugier. Es klang sogar ein wenig Respekt mit. »Ich wünsche es dir«, fügte er schnell hinzu, als könne man seine Worte sonst falsch auslegen. »Ich weiß nicht«, sagte Thorne. »Es ist so lange her. Ich hätte nicht gedacht, dass mir diese Dinge wieder einfallen würden.« Aber nun standen sie ihm lebhaft vor Augen. Wenn er auch in diesem warmen Bad saß, sein Blut sich beruhigt hatte und die grausame Kälte aus seinen Knochen gewichen war, sah er doch noch das winterliche Tal vor sich. Er konnte den Sturm hören und sah die Phantomgebilde hoch oben fliegen, all die verirrten Toten, die dem Gott Odin übers Firmament folgten. »Kommt«, hatte Thorne damals zu seinen Gefährten gesagt, zu den Jünglingen, die mit ihm zusammen aus der großen Halle geschlichen waren, »lasst uns zu dem Hain gehen, lasst uns inmitten seiner Bäume stehen, wenn der Donner grollt.« Sie hatten sich gefürchtet, den heiligen Boden zu betreten, doch sie durften es nicht zeigen.
    »Du warst ein Sohn der Wikinger«, stellte Marius fest.
    »Oh, so nannten uns die Britannier«, sagte Thorne. »Wir selbst haben diesen Namen nicht benutzt. Wir hörten ihn von unseren Feinden. Ich erinnere mich an ihre Schreie, wenn wir ihre Mauern erklommen, das Gold von den Altären ihrer Kirchen raubten.« Er hielt inne. Einen Augenblick ruhten seine Augen still auf Marius. »Du bist wirklich verständnisvoll. Du willst tatsächlich zuhören.« Marius nickte. »Aus ganzem Herzen.« Er seufzte ein wenig und schaute durch das große Fenster hinaus. »Ich bin des Alleinseins müde, mein Freund«, sagte er. »Die Gesellschaft meiner intimsten Freunde ertrage ich nicht mehr. Und sie meine auch nicht, wegen der Dinge, die ich getan habe.«
    Dieses plötzliche Geständnis erstaunte Thorne.

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