Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
Er dachte an den Bluttrinker Lestat und dessen Lieder. Er dachte an all die, die sich zu der Ratsversammlung zusammengefunden hatten, als die Böse Königin gekommen war. Er wusste, sie alle hatten überlebt. Und er wusste, dass dieser hier, der blonde Marius, viel vernünftiger argumentiert hatte als die anderen.
»Sprich weiter«, bat Marius. »Ich wollte dich nicht unterbrechen. Du warst gerade dabei, etwas zu erzählen.«
»Nur, dass ich schon viele Menschen getötet hatte, bevor ich ein Bluttrinker wurde«, sagte Thorne. »Ich schwang den Hammer Thors ebenso, wie ich mein Schwert und meine Axt schwang. Als Jüngling kämpfte ich an der Seite meines Vaters. Und ich kämpfte, nachdem ich ihn begraben hatte. Und er starb nicht auf dem Strohsack, das kann ich dir versichern, sondern mit einem Schwert in der Hand, wie er es sich gewünscht hatte.« Thorne unterbrach sich kurz. »Und du, mein Freund?«, fragte er. »Warst du ein Krieger?«
Marius schüttelte den Kopf. »Nein, ich war Senator«, sagte er, »ein Gesetzgeber, eine Art Philosoph. Ich zog in den Krieg, das ja, für kurze Zeit, weil meine Familie es wünschte, und ich hatte einen hohen Rang in einer der Legionen, aber ich diente nicht lange, dann war ich wieder zu Hause, in meiner Bibliothek. Ich liebte Bücher. Ich liebe sie noch. Einige Räume in diesem Haus sind gestopft voll mit Büchern, und in den Häusern, die ich anderswo besitze, ist es genauso. Kampf habe ich nie richtig gekannt.« Marius unterbrach sich. Er beugte sich vor, und wie Thorne hob er die wassergefüllten Hände an sein Gesicht und ließ das Nass über seine Augenlider rinnen.
»Komm«, sagte er, »Schluss mit diesem Vergnügen, und auf zu einem neuen. Lass uns jagen. Ich spüre deinen Hunger. Ich habe frische Kleider für dich. Alles, was du brauchst. Oder möchtest du noch länger das warme Wasser genießen?«
»Nein, ich bin bereit«, sagte Thorne. Er hatte so lange nicht mehr getrunken, dass er sich schämte, es zuzugeben. Abermals wusch er sich Gesicht und Haare. Er tauchte ins Wasser, kam wieder hoch und schob sich das nasse Haar aus der Stirn. Marius war schon aus der Wanne gestiegen und hielt Thorne ein großes weißes Badetuch hin. Es war dick und angeraut und wunderbar geeignet, das Wasser aufzusaugen. Als er auf den Steinfliesen stand, kam ihm die Luft im Raum für einen Augenblick eisig vor, doch bald war ihm wieder warm, als er heftig über seine Haare rieb, um die letzten Tropfen herauszupressen.
Marius war schon fertig und nahm nun ein frisches Tuch von dem Stapel, mit dem er Thornes Rücken und Schultern abzutrocknen begann. Diese vertrauliche Geste ließ Schauer durch Thornes Glieder rinnen. Marius rubbelte ihm den Kopf kräftig ab und begann dann, mit dem Kamm die nassen Haare zu entwirren.
»Wo ist der rote Bart, mein Freund?«, fragte er, als die beiden sich anschauten. »Ich habe die Nordmänner mit ihren Bärten noch gut in Erinnerung. Ich weiß noch, wie sie nach Byzanz kamen. Sagt dir der Name etwas?«
»O ja«, antwortete Thorne. »Man nahm mich mit in diese erstaunliche Stadt.« Er wandte sich zu Marius um und nahm das ihm dargebotene Handtuch aus Marius’ Hand entgegen.
»Ich hatte einen dichten, langen Bart, schon als junger Mann, das kann ich dir versichern, aber er wurde in der Nacht abgenommen, als ich zum Bluttrinker wurde. Ich wurde für den Empfang des magischen Blutes fein hergerichtet. Die, die es mir gab, wollte es so.« Marius nickte. Aber er war viel zu höflich, ihren Namen zu nennen, wenn der Jüngere zuvor auch taktlos genug gewesen war, ihn auszusprechen.
»Du weißt, dass es Maharet war«, sagte Thorne. »Du musstest den Namen nicht erst von deinem jungen Freund hören. Du hast ihn schon in meinen Gedanken gelesen, nicht wahr?« Er unterbrach sich kurz, dann fuhr er fort. »Du weißt, dass es ihr Bild war, das mich aus Eis und Schnee hierher kommen ließ. Sie stellte sich gegen die Böse Königin. Sie legte den Vampir Lestat in Ketten. Aber gerade jetzt von ihr zu sprechen erschöpft mich völlig. Wann werde ich je wieder über sie sprechen können? Ich weiß es nicht. Lass uns jagen, und danach können wir richtig miteinander reden.«
Er wirkte feierlich, wie er aufrecht dastand, das Handtuch vor die Brust gepresst. In seinem tiefsten Herzen mühte er sich, Liebe für die zu empfinden, die ihn zum Bluttrinker gemacht hatte. Er versuchte, aus den Jahrhunderten seiner Existenz genügend Weisheit zu saugen, damit sein Zorn erstickt
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