Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
war fast immer allein, wie damals, ehe ich Amadeo und Bianca geliebt hatte, und ich erhoffte mir keinen unsterblichen Gefährten. Vielleicht wollte ich ja gar keinen. Seit Jahrhunderten hatte ich nicht mehr von Mael gehört. Ich hatte keine Nachricht von Avicus oder Zenobia. Ich hörte nichts von einem der anderen ganz Alten. Ich wollte nur einen großen, prächtigen Schrein für Die Eltern, und wie erwähnt, sprach ich jetzt häufig mit Akasha. Aber ehe ich nun diesen letzten, wichtigsten meiner europäischen Wohnsitze beschreibe, muss ich der Geschichte über meine verlorenen Lieben noch ein tragisches Detail anfügen. Als all mein kostbarer Besitz in den neuen Palast geschafft worden war, meine Bücher, meine Skulpturen, meine edlen Tapisserien und Teppiche und was sonst noch von arglosen Sterblichen verschifft und wieder ausgepackt wird, kam das letzte Stückchen der Geschichte von meiner geliebten Pandora zutage. Auf dem Boden einer Packkiste entdeckte einer der Arbeiter einen Brief, auf Pergament geschrieben, doppelt gefaltet und schlicht an »Marius« adressiert.
Ich stand auf der Terrasse meines neuen Hauses und schaute auf die See und die vielen umliegenden Inseln hinaus, als mir der Brief gebracht wurde. Das Pergament war mit einer Staubschicht bedeckt, und sobald ich das Datum und die ausgeblichene Tinte sah, wusste ich, er stammte aus der Nacht, als ich mich von Pandora verabschiedet hatte. Es war, als hätte es die fünfzig Jahre, die mich davon trennten, nie gegeben.
Mein geliebter Marius,
die Nacht ist fast zu Ende, und mir bleiben nur wenige Augenblicke, dir zu schreiben. Wie wir dir sagten, wird unsere Kutsche uns in einer Stunde davontragen, zu unserem vorgesehenen Ziel Moskau. Marius, ich möchte eigentlich nur eines: auf der Stelle zu dir eilen, aber ich kann nicht unter dem gleichen Dach mit den Uralten Schutz suchen. Aber, mein Geliebter, ich bitte dich, komm nach Moskau. Bitte komm und hilf mir, mich von Arjun zu befreien. Über mich urteilen, mich strafen kannst du später. Ich brauche dich, Marius. Ich werde in Moskau wie ein Gespenst durch den Zarenpalast und die große Kathedrale geistern, bis du kommst. Marius, ich weiß, dass ich von dir verlange, eine lange Reise zu machen, aber bitte komm! Was ich auch über meine Liebe zu Arjun sagte – inzwischen bin ich ihm zu sehr verfallen, und ich möchte wieder dein sein.
Pandora
Stundenlang saß ich mit dem Brief in der Hand, bis ich mich schwerfällig erhob und meine Diener fragte, wo sie den Brief gefunden hätten.
Er hatte in einer Packkiste zwischen den Büchern meiner alten Bibliothek gelegen. Wieso hatte er mich nie erreicht? Hatte Bianca ihn vor mir versteckt? Das konnte ich nicht glauben. Eher war es ein unglücklicher, grausamer Zufall gewesen – ein Lakai hatte ihn auf meinen Schreibtisch gelegt und ich selbst hatte ihn versehentlich zur Seite, mitten zwischen einen Stapel Bücher, geschoben, ohne ihn überhaupt zu bemerken.
Aber was machte das jetzt noch aus? Der Schaden war unwiderruflich.
Sie hatte mir geschrieben, und ich hatte nichts davon erfahren. Sie hatte mich zu sich gerufen, und ich war, aus Unkenntnis, nicht zu ihr geeilt. Und nun wusste ich nicht, wo ich sie finden konnte. Ich hatte ihren Liebesschwur, doch es war zu spät. In den folgenden Monaten stellte ich Moskau auf den Kopf, weil ich hoffte, sie und Arjun hätten sich vielleicht dort niedergelassen. Aber von Pandora keine Spur, die Welt hatte sie verschlungen, genau wie meine süße Bianca.
Wie kann ich die Qualen, die ich wegen dieser beiden Verluste litt, beschreiben?
Hier kommt meine Geschichte zum Ende. Oder sollte ich sagen, der Kreis hat sich geschlossen?
Jetzt kehren wir nämlich zu der Geschichte über die Königin der Verdammten und den Vampir Lestat zurück, der sie erweckte. Und ich werde mich bei diesem Rückblick kurz fassen. Denn ich denke, ich weiß sehr gut, was mein betrübtes Herz zur Heilung braucht. Aber ehe ich dazu komme, müssen wir uns noch einmal Lestats Eskapaden und der traurigen Geschichte widmen, wie ich meine letzte Liebe verlor – Akasha.
DER VAMPIR LESTAT
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W ie alle wissen, die unsere Chroniken lesen, war ich auf einer Insel in der Ägäis, wo ich eine friedliche Schar Sterblicher regierte, als Lestat, ein junger Vampir, der vor gerade zehn Jahren Das Blut bekommen hatte, nach mir rief. Nun verteidigte ich allerdings meine Einsamkeit standhaft, und nicht einmal Amadeo, der aus
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