Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
hinstreckende Netz war seinem Blick entschwunden. Doch die rothaarigen Zwillinge sah er außerordentlich deutlich. Die beiden stattlichen Frauen standen Seite an Seite, eine in Lumpen gehüllt, die andere in prächtiger Robe. Und durch die Augen der anderen Bluttrinker sah er, dass die fremde Zwillingsschwester die Königin erschlagen und den heiligen Urkern in sich aufgenommen hatte.
»Seht her – die Königin der Verdammten«, sagte die, die ihm Das Blut gegeben hatte, und stellte den anderen ihre lang verschollene Schwester vor. Thorne verstand sie. Er sah ihrem Gesicht an, wie sehr sie litt. Doch das Gesicht der Fremden, der Königin der Verdammten, war ausdruckslos und leer.
Die Überlebenden der Katastrophe blieben in den folgenden Nächten zusammen. Sie erzählten sich gegenseitig ihre Erlebnisse. Und die Luft war gesättigt von ihren Geschichten wie einst von den alten Liedern, die die Barden in den Hallen der Langhäuser sangen. Lestat hatte seine elektrischen Musikinstrumente beiseite gelegt und betätigte sich abermals als Chronist, indem er die Geschichte dieser geschlagenen Schlacht niederschrieb und als Roman in die Welt der Sterblichen entließ. Die rothaarigen Schwestern waren bald schon fortgegangen, in ein Versteck, in dem Thornes Gabe des Geistes sie nicht ausmachen konnte.
Sei ruhig, sagte er zu sich selbst. Vergiss, was du gesehen hast. Es gibt keinen Grund, sich aus deinem eisigen Bett zu erheben. Der Schlaf ist dein Freund. Träume sind nur unwillkommene Gäste. Lieg still, und du wirst wieder in deinen friedvollen Zustand zurücksinken. Sei wie der Gott Heimdali vor dem Schlachtruf, so still, dass du die Wolle auf dem Rücken der Schafe wachsen hören kannst und das Gras in den fernen Landen, in denen der Schnee schmilzt.
Aber immer neue Visionen erreichten ihn. Der Bluttrinker Lestat trug neue, Verwirrung stiftende Unruhe in die Welt der Sterblichen. Er brachte ein wundersames Geheimnis aus der christlichen Vergangenheit, das er einem sterblichen Mädchen anvertraute.
Für diesen da, dessen Name Lestat war, würde es nie Frieden geben. Er war wie einer von Thornes Volk, wie einer der Krieger aus Thornes Zeiten als Sterblicher.
Thorne beobachtete, wie seine Rothaarige abermals auf der Bildfläche erschien, sie, dieses reizvolle Wesen, die ihm Das Blut gegeben hatte; ihre Augen waren, wie stets, rot von menschlichem Blut, sie war fein gekleidet und strahlte Autorität und Macht aus. Und dieses Mal war sie gekommen, um den unglückseligen Bluttrinker Lestat in Fesseln zu schlagen. Fesseln, die einen so Mächtigen binden konnten? Thorne grübelte. Welche Ketten konnten das bewerkstelligen, fragte er sich. Die Antwort auf diese Frage musste er finden. Er sah die Rothaarige geduldig neben dem Bluttrinker Lestat sitzen, während jener hilflos in seinen Fesseln tobte und kämpfte, ohne sich befreien zu können.
Woraus bestanden sie, diese so weich und schmiegsam wirkenden Kettenglieder, dass sie ein solch mächtiges Wesen halten konnten? Diese Frage ließ Thorne keine Ruhe. Und warum liebte seine rothaarige Schöpferin diesen Lestat und ließ ihn am Leben? Warum blieb sie so ruhig, während der junge Vampir raste? Wie es wohl war, von ihren Ketten gefesselt und ihr so nahe zu sein?
Thorne erinnerte sich… sah quälende Bilder von ihr… wie er, der sterbliche Krieger dort in dem nordischen Land, das damals seine Heimat war, ihr in einer Höhle zum ersten Mal begegnete. Nacht war es gewesen, als er sie erblickt hatte, mit ihrer Spindel und dem Rocken und ihren blutenden Augen. Sie hatte flink und schweigend gearbeitet, hatte ein Haar ums andere aus ihren langen roten Locken gerissen und in ihrem Faden verwoben.
Es war im bittersten Winter gewesen, und das hinter ihr brennende Feuer loderte so hell, dass es ihm wie Zauberei schien, als er da im Schnee stand und sie beobachtete, wie sie ihren geheimnisvollen Faden spann.
»Eine Hexe«, hatte er laut gesagt. Er verbannte diese Erinnerung aus seinem Gedächtnis. Jetzt sah er sie, wie sie Lestat bewachte, der ihr an Stärke gleichkam. Er sah die seltsamen Ketten, die Lestat banden und gegen die er nun nicht länger ankämpfte.
Schließlich hatte sie Lestat aus seinen Fesseln befreit und ihn und seine Gefährten verlassen.
Abermals schwor sich Thorne, seinen Schlummer fortzusetzen. Er öffnete seinen Geist dem Schlaf. Aber eine Nacht nach der anderen ging hin in seiner eisigen Höhle. Der Lärm der Welt war betäubend und gestaltlos.
Und im
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