Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
rotgoldenen Fäden zwirbelte. Sein Klan hatte sie töten wollen, und er war, seine Streitaxt bereit, mitten unter ihnen gewesen.
Wie dumm es ihm nun alles erschien – denn sie hatte gewollt, dass er sie sah. Sie hatte einen Krieger wie Thorne gesucht, nur deshalb war sie in den Norden gekommen. Sie hatte Thorne gewählt, sie hatte seine Jugend und seine Kraft und seinen reinen Mut geliebt. Er schlug die Augen auf.
Die Sterblichen im Raum kümmerten sich nicht um ihn, obwohl seine Kleidung schäbig und abgetragen war. Wie lange konnte er so unbeachtet bleiben? Er hatte keine Münzen in der Tasche für einen Platz am Tisch oder einen Becher Wein.
Aber jetzt hörte er die Stimme des Bluttrinkers wieder, die ihm beruhigend zusprach.
Du musst die Menge einfach nicht beachten. Sie wissen nichts von uns, wissen nicht, warum wir in diese Bars kommen. Sie sind nur Bauern in dem Spiel. Geh zur Hintertür: Drück dagegen, so fest du kannst, dann wird sie nachgeben.
Es schien ganz unmöglich für ihn, diesen Raum zu durchqueren, ohne dass die Sterblichen merkten, was er war. Aber er musste seine Furcht überwinden. Er musste zu dem Bluttrinker, der ihn rief. Er senkte den Kopf, den Mund vom Kragen verborgen, und schob sich zwischen den weichen Körpern hindurch, wobei er angestrengt den Blicken auswich, die ihn streiften. Als er die klinkenlose Tür sah, drückte er wie verlangt kräftig dagegen. Sie öffnete sich in einen großen, nur schwach erhellten Raum mit darin verstreuten Holztischen, auf denen dicken Kerzen standen. Wie schon der Schankraum war auch dieser Raum von herrlicher, gleichmäßiger Wärme erfüllt. Und der Bluttrinker war allein.
Er war hoch gewachsen und schön, mit blondem Haar, das beinahe weiß war. Er hatte hart blickende blaue Augen und ein fein geschnittenes Gesicht, das er mit einem dünnen Film aus Blut und Asche überzogen hatte, damit er den Augen der Sterblichen menschlicher erschien. Er trug einen leuchtend roten Umhang, dessen Kapuze er zurückgeworfen hatte. Sein langes Haar war sorgfältig gekämmt. Thorne fand ihn ausgesprochen gut aussehend und außerdem zuvorkommend. Er schien eher den Büchern als dem Schwert zugeneigt. Seine Hände waren nicht klein, jedoch schlank, mit zartgliedrigen Fingern.
Thorne fiel ein, dass er dieses Wesen schon mit der Gabe des Geistes gesehen hatte, und zwar zusammen mit den anderen Bluttrinkern am Ratstisch, ehe die Böse Königin niedergemacht worden war.
Ja, er hatte ihn gesehen. Er war derjenige gewesen, der so eifrig bemüht gewesen war, an die Vernunft der Königin zu appellieren, obwohl tief in seinem Inneren fürchterlicher Zorn und blinder Hass gelauert hatten.
Ja, Thorne hatte diesen hier gesehen, als er mit geschliffenen, wohl erwogenen Worten gekämpft hatte, um sie alle zu retten. Der Bluttrinker bedeutete ihm mit einer Geste, rechts neben ihm Platz zu nehmen.
Thorne folgte der Einladung und sank auf ein lederbezogenes Polster. Die Kerze vor ihm auf dem Tisch flackerte boshaft, und ihr tanzendes Licht spiegelte sich in den Augen des anderen Bluttrinkers. Thorne konnte das Blut riechen, das sein Gesicht und seine langen, eleganten Hände warm durchströmte. Ja, ich habe heute Nacht gejagt, aber ich werde mit dir noch einmal auf die Jagd gehen; du brauchst das.
»Ja«, sagte Thorne. »Es ist schon so lange her; das kannst du dir gar nicht vorstellen. Eis und Schnee zu ertragen war leicht. Aber nun bin ich von ihnen umgeben, von diesen verletzlichen Geschöpfen.«
»Ich verstehe«, sagte der Bluttrinker, »ich kenne das.« Es waren die ersten Worte, die Thorne seit ewigen Jahren jemandem gegenüber laut ausgesprochen hatte, und er schloss die Augen, um diesen Moment zu genießen. Das Erinnerungsvermögen war ein Fluch, dachte er, aber gleichzeitig auch die größte Gabe. Denn wenn man die Erinnerung verlor, hatte man alles verloren. Der Gott Odin hatte für sein Gedächtnis ein Auge hingegeben und neun Tage lang an dem heiligen Baum gehangen. Aber nicht nur mit seinem Gedächtnis war Odin dafür belohnt worden, sondern auch mit dem Met, der ihm die Gabe der Dichtung und des Gesanges verlieh.
Vor vielen Jahren hatte auch Thorne diesen Met der Dichter getrunken, die Priester des heiligen Haines hatten ihn ihm gereicht. Und dann hatte er mitten in der Halle seines Vaterhauses gestanden und Lieder gesungen – über sie, die Rothaarige, die Bluttrinkerin, die er mit eigenen Augen gesehen hatte. Die anderen im Haus hatten über ihn gelacht und
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