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Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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Eltern Wards hin unternahm, waren eine kuriose Angelegenheit. Ward wies den Besucher zwar nie ab, doch war dem Arzt bewusst, dass er keinerlei Zugang zum psychologischen Innenleben des jungen Manns erhielt. Regelmäßig fielen ihm eigenartige Dinge auf, so etwa kleine groteske Wachsfigürchen auf den Regalen oder Tischen und die halb verwischten Kreide- oder Kohleüberreste von Kreisen, Dreiecken und Pentagrammen auf dem Boden in der frei geräumten Mitte des großen Zimmers. Und da in jeder Nacht diese Rhythmen und Beschwörungen durchs Haus dröhnten, gestaltete es sich schließlich äußerst schwierig, die Dienstboten zu halten oder das heimliche Gerede von Charles’ Wahnsinn zu unterbinden.
    Im Januar 1927 trug sich etwas Eigenartiges zu. Eines Nachts, etwa um Mitternacht, sprach Charles ein liturgisches Ritual, dessen unheimliche Kadenzen unangenehme Echos im Haus erzeugten. Auf einen Schlag erhob sich von der Bucht her ein eisiger Wind und die Erde bebte ganz leicht, was allen Nachbarn auffiel. Zur selben Zeit zeigte der Kater eine unglaubliche Angst, während im Umkreis von zwei Kilometern die Hunde anschlugen. Dies war das Vorspiel zu einem für diese Jahreszeit ungewöhnlich heftigen Gewitter, das in einen so heftigen Donnerschlag gipfelte, dass Mr. und Mrs. Ward glaubten, ein Blitz sei ins Haus eingeschlagen. Sie liefen nach oben, um nach möglichen Schäden zu sehen, doch Charles kam ihnen an der Tür zum Dachgeschoss entgegen, blass, entschlossen und Unheil kündend, mit einem Gesichtsausdruck, der sich in fürchterlicher Weise aus Triumph und Ernsthaftigkeit zusammensetzte. Er versicherte ihnen, dass der Blitz nicht ins Haus eingeschlagen und der Sturm bald überstanden sei. Sie blieben stehen, und als sie durch ein Fenster blickten, sahen sie, dass er recht hatte, denn die Blitze zeichneten sich in immer größerer Entfernung ab, und die Bäume bogen sich nicht mehr in den seltsamen, kalten Böen, die von der See her gekommen waren. Der Donner verklang zu einem dumpfen Grollen und erstarb schließlich ganz. Die Sterne kamen heraus, und die Siegesgewissheit auf Charles’ Gesicht verhärtete sich zu einem ganz eigentümlichen Ausdruck.
    In den folgenden zwei Monaten hielt Ward sich nicht mehr so häufig im Labor auf wie zuvor. Er legte ein kurioses Interesse für das Wetter an den Tag und stellte sonderbare Nachforschungen darüber an, zu welcher Zeit im Frühjahr der Erdboden auftaut. Eines Nachts Ende März ging er nach Mitternacht aus dem Haus und kam erst im Morgengrauen zurück, als seine Mutter, die nicht schlafen konnte, einen knarrenden Motor an der Einfahrt hörte. Gedämpfte Beteuerungen waren zu vernehmen. Mrs. Ward stand auf und ging ans Fenster, wo sie vier dunkle Gestalten sah, die auf Charles’ Anweisungen hin eine lange, schwere Kiste aus einem Lastwagen hoben und durch einen Seiteneingang ins Haus trugen. Sie hörte gepressten Atem und schwere Schritte auf der Treppe und schließlich einen dumpfen Laut im Dachgeschoss, danach waren die Schritte treppab zu hören, und die vier Männer stiegen wieder in ihren Lastwagen und fuhren davon.
    Am nächsten Tag nahm Charles seine strenge Zurückgezogenheit im Dachgeschoss wieder auf und ließ vor den Fenstern des Labors die dunklen Jalousien herab. Er schien an einer metallenen Substanz zu arbeiten. Er öffnete niemandem die Tür und weigerte sich, das angebotene Essen einzunehmen. Gegen Mittag war ein reißendes Geräusch, gefolgt von einem schrecklichen Schrei und einem Sturz zu hören, doch als Mrs. Ward panisch an die Tür klopfte, antwortete ihr Sohn nach einiger Zeit mit schwacher Stimme, dass alles in Ordnung sei. Der scheußliche und unbeschreibliche Gestank, der nun herausquoll, sei völlig harmlos und leider notwendig. Völlige Ungestörtheit sei nun das Wichtigste, aber er würde später zum Abendessen herunterkommen.
    Nachdem an diesem Nachmittag einige zischende Laute hinter der verschlossenen Tür verklungen waren, zeigte Ward sich tatsächlich; er sah äußerst ausgezehrt aus und untersagte jedem, das Laboratorium unter irgendeinem Vorwand zu betreten. Dies bildete den Anfang einer neuen Heimlichtuerei, denn danach gestattete er keinem Menschen mehr, das rätselhafte Arbeitszimmer in der Mansarde oder die anliegende Kammer zu betreten, die er ausräumte, mit dem Notwendigsten ausstattete und seiner erhabenen Privatsphäre als Schlafraum angliederte. Hier lebte er mit den Büchern, die er aus seiner Bibliothek heraufholte, bis er

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