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Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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das Fahrzeug zur Endhaltestelle hinter dem Biltmore fuhr und er so den großen Dom und das sanfte, von Dächern gespickte Grün des uralten Hügels auf der anderen Flussseite sehen konnte: Der hohe, koloniale Glockenturm der First Baptist Church setzte sich im magischen Abendlicht rosafarben vor der frischen Frühjahrsvegetation des steilen Hügels im Hintergrund ab.
    Altes Providence! Dieser Ort und die geheimnisvollen Kräfte seiner langen, fortgesetzten Geschichte hatten ihn ins Dasein gerufen und sein Interesse auf Wunder und Geheimnisse gelenkt, deren Grenzen kein Prophet ermessen konnte. Hier lagen die Heimlichkeiten, je nachdem absonderlich oder schrecklich, auf die seine jahrelangen Reisen und sein ganzer Eifer ihn vorbereitet hatten. Ein Taxi fuhr ihn rasch über den Post Office Square mit seinem Blick auf den Fluss, das alte Market House und die Mündung der Bucht, dann die steile, kurvige Waterman Street bis nach Prospect hinauf, wo die gewaltige, schimmernde Kuppel und die vom Sonnenuntergang rot gefärbten ionischen Säulen der Christian Science Church die Blicke nach Norden zogen. Nun ging es acht Blöcke an den schönen alten Villen vorbei, die schon seinen Kinderaugen bekannt gewesen waren, und den malerischen Ziegelfußwegen, über die er in seiner Jugend so oft gegangen war. Und endlich das kleine, weiße Landhaus zur Rechten, und zur Linken die klassische Adam-Veranda und die mit stattlichen Erkern versehene Fassade des großen Ziegelhauses seiner Geburt. Es dämmerte, und Charles Dexter Ward war wieder zu Hause.
    5
    Eine Gruppe von Nervenärzten, die eine Spur weniger akademisch als Dr. Lyman eingestellt ist, schreibt Wards Europareise dem Anfang seines echten Wahnsinns zu. Sie gehen davon aus, dass er bei seiner Abreise noch geistig gesund war, und glauben, dass sein Verhalten nach der Heimkehr einen verheerenden Wandel zeigt. Doch Dr. Willett möchte auch dieser Behauptung nicht zustimmen. Es sei, so beharrt er, erst später etwas geschehen, und das sonderbare Verhalten des jungen Mannes in diesem Zeitraum schreibt er der Ausübung von im Ausland erlernten Ritualen zu – gewiss, das sei an sich schon eigenartig genug, doch setze das auf keinen Fall eine Geisteskrankheit voraus. Ward war zwar sichtlich älter und verstockter geworden, zeigte aber nach wie vor normale Reaktionen, und bei mehreren Gesprächen mit Dr. Willett legte er eine Ausgeglichenheit an den Tag, die kein Irrer – nicht einmal im Anfangsstadium – lange vorschützen könne.
    Was den Verdacht eines schon in dieser Zeit ausgebrochenen Wahnsinns verstärkte, waren die Geräusche, die man zu jeder Tages- und Nachtzeit aus Wards Labor in der Dachkammer vernahm, in dem er sich meistens aufhielt. Es handelte sich um Gesänge und Liturgien und schrille Deklamationen in unheimlichen Rhythmen, und obwohl diese Laute immer in Wards Stimme vorgetragen wurden, war dieser Stimme und den von ihr gesprochenen Lauten irgendetwas zu eigen, das jedem Zuhörer das Blut in den Adern gefrieren ließ. Nig, der altehrwürdige und geliebte schwarze Kater des Hauses, sträubte sofort das Fell und machte einen Buckel, sobald diese Geräusche zu hören waren. Die Gerüche, die zuweilen aus dem Labor drangen, waren ebenfalls sehr merkwürdig. Manchmal rochen sie abstoßend, doch meistens aromatisch, erfüllt von etwas Lockendem und Flüchtigem, das anscheinend fantastische Bilder im Kopf auszulösen vermochte. Personen, die sie rochen, neigten dazu, kurzzeitig gewaltige Landschaften zu sehen, voller eigenartiger Hügel oder endloser Alleen, gesäumt von Sphinxen und Hippogryphen, die sich bis zum Horizont erstreckten.
    Ward nahm seine früheren Spaziergänge nicht wieder auf, sondern widmete sich eifrig den seltsamen Büchern, die er mit nach Hause gebracht hatte, und den ebenso seltsamen Forschungen in seinen Räumen. Er erklärte, die europäischen Quellen hätten die Möglichkeiten seiner Arbeit erheblich erweitert, und versprach für die kommenden Jahre große Enthüllungen.
    Die Tatsache, dass er nun älter wirkte, unterstrich in verwirrendem Maße noch die Ähnlichkeit zu dem Curwen-Porträt in seiner Bibliothek, und Dr. Willett hielt nach seinen Besuchen oft vor dem Bild inne, um das nahezu identische Aussehen zu bestaunen und darüber zu sinnen, dass sich der seit langer Zeit tote Hexenmeister nur noch durch die kleine Einbuchtung über dem rechten Auge von dem lebendigen jungen Mann unterschied. Diese Besuche Willetts, die er auf Bitten der

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