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Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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Untergrund ich mich bäuchlings schlängeln musste, mit den Füßen voran und die Fackel auf Armeslänge hinter den Kopf haltend. Die Höhe reichte nicht aus, um auch nur zu knien. Danach folgten weitere steile Stufen, und ich krabbelte noch immer endlos nach unten, als meine glimmende Fackel erlosch. Ich glaube, ich bemerkte es zunächst gar nicht, denn als es mir auffiel, hielt ich die Fackel nach wie vor über mich, so als brenne sie immer noch. Offenbar war ich arg aus dem seelischen Lot gebracht durch meinen Drang zum Außergewöhnlichen und Unbekannten, der mich durch die Welt wandern ließ als Jäger ferner, alter, verbotener Stätten.
    Im Dunkeln blitzten vor meinem inneren Auge Bruchstücke meines gehüteten Wissens dämonischer Gelehrtheit auf; Zitate von Alhazred, dem wahnsinnigen Araber, Absätze aus den apokryphen Albträumen des Damascius und ruchlose Zeilen aus dem fiebergeborenen Image du Monde von Gauthier de Metz. Ich sagte sonderbare Auszüge auf und wisperte von Afrasiab und den Dämonen, die mit ihm den Oxus hinabtrieben; später sang ich wieder und wieder einen Satz aus einer der Erzählungen Lord Dunsanys vor mich hin – »Die echoleere Schwärze des Orkus«. Einmal, als der Abstieg aberwitzig steil wurde, leierte ich etwas aus Thomas Moores Dichtungen herunter, bis die Furcht mich abhielt, noch mehr davon wiederzugeben:
    Ein Pfuhl voll Finsternis, tiefschwarz
    Als sei’s ein Tiegel, darin Gifte kochen
    Aus Blumen, im Mondlicht von Hexen gebrochen.
    Ins Dunkel spähend, ob ich fände
    Den Weg hinab, bohrte mein Blick
    Sich in den Schlund und fiel direkt
    Auf steile, glitschig glatte Wände
    Welche mit zähem Schleim bedeckt,
    Pechfinster, wie auch jener Schlick
    Der an des Totenozeans Ufern leckt.
    Zeit besaß keine Bedeutung mehr für mich, als meine Füße wieder ebenen Boden erspürten und ich mich an einem Ort befand, der nur wenig höher war als die Räume in den beiden kleineren Tempeln, die nun so unermesslich weit über mir lagen. Stehen konnte ich nicht, aber doch aufrecht knien, und in der Finsternis rutschte und kroch ich aufs Geratewohl mal hier-, mal dorthin. Bald wurde mir klar, dass ich mich in einem engen Gang befand, an dessen Wänden sich Holzkästen reihten, die mit Glasfronten versehen waren. Dass ich an diesem paläozoischen und unterweltlichen Ort Dinge wie poliertes Holz und Glas ertastete, ließ mich erschaudern angesichts der Andeutungen, die darin lagen. Die Kästen standen anscheinend in regelmäßigen Abständen entlang der beiden Seitenwände des Gangs, und sie waren länglich gebaut und waagerecht gelagert, wodurch sie nach Form und Größe schauderhaft an Särge gemahnten. Als ich zwecks weiterer Untersuchungen probierte, zwei oder drei davon zu verrücken, bemerkte ich, dass sie fest verankert waren.
    Wie ich erkannte, besaß der Gang eine beträchtliche Länge, und ich kroch auf allen vieren in geducktem Lauf voran, was grauenvoll gewirkt hätte, wäre es in der Schwärze beobachtet worden; dabei wechselte ich ab und an von einer Seite zur anderen, um meine Umgebung zu ertasten und mich zu vergewissern, dass die Wände und Kastenreihen sich weiter dahinzogen. Der Mensch ist das visuelle Denken so sehr gewöhnt, dass ich die Finsternis fast vergaß und mir den endlosen Korridor aus Holz und Glas in seiner niedrigen Einförmigkeit so lebhaft vorstellte, als könnten meine Augen ihn sehen. Und dann, in einem Augenblick unbeschreiblicher Erregung, sah ich ihn wirklich.
    Wann genau meine Vorstellung zu realem Sehen wurde, kann ich nicht sagen; doch von vorne wuchs allmählich ein Glühen heran, und mit einem Mal erkannte ich, dass ich die düsteren Umrisse des Korridors und der Kästen erblickte, enthüllt von irgendeiner unbekannten unterirdischen Phosphoreszenz. Eine kurze Weile lang sah alles genau so aus, wie ich es mir ausgemalt hatte, denn das Glühen war sehr schwach; doch als ich unwillkürlich weiter voran auf das stärkere Licht zurobbte, wurde mir klar, dass meine Vorstellung nur sehr ungenau gewesen war. Diese Halle war kein rudimentäres Relikt wie die Tempel der Stadt weit über mir, sondern ein Monument der großartigsten und exotischsten Kunst. Üppige, lebendige und kühn-fantastische Ornamente und Bildnisse ergaben eine geschlossene Anordnung von Wandmalereien, deren Linien und Farben nicht zu beschreiben sind. Die Gehäuse der Kästen bestanden aus einem sonderbaren goldfarbenen Holz, ihre Vorderseiten hingegen aus erlesenem Glas, und sie

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