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Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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oder Seuchen zusammenhingen; und ich wunderte mich über die Scheu, die sie vor Abbildungen mit Bezug auf den natürlichen Tod zeigten. Es war, als habe man ein Unsterblichkeitsideal als eine schöne Illusion gepflegt.
    Noch näher am Ende des Ganges waren Szenen von äußerster Pittoreskheit und Übertreibung an die Wände gepinselt; gegensätzliche Ansichten der Stadt ohne Namen: einerseits in ihrer Verlassenheit und ihrem Verfall, andererseits als das fremdartige neue Paradies, zu dem hinab die Rasse sich ihren Weg durch den Stein gehämmert hatte. In diesen Ansichten waren die Stadt und das Wüstental stets bei Mondlicht abgebildet, ein goldener Schein schwebte über den eingefallenen Mauern und entschleierte nur halb ihre herrliche Vollkommenheit in früheren Zeiten, vom Künstler geisterhaft und vage ins Bild gesetzt. Diese paradiesischen Szenen – sie zeigten eine verborgene Welt ewig währenden Tages voller herrlicher Städte und überirdischer Hügel und Täler – waren fast zu überzogen, um glaubwürdig zu sein.
    Ganz zum Schluss vermeinte ich Anzeichen eines künstlerischen Rückschritts auszumachen. Die Malereien waren weniger kunstfertig und weitaus bizarrer als sogar die abenteuerlichsten der früheren Szenen. Sie schienen einen langsamen Niedergang des alten Geschlechtes widerzuspiegeln, gepaart mit einer zunehmenden Grausamkeit gegenüber der Außenwelt, aus der die Wüste es verdrängt hatte. Die Gestalten der Menschen – stets stellvertretend verkörpert von den heiligen Reptilien – schienen schleichend zu verkümmern, obwohl ihr Geist, der im Mondenschein über den Ruinen schwebte, im gleichen Verhältnis an Größe gewann. Abgezehrte Priester, dargestellt als Reptilwesen in reich verzierten Roben, verfluchten die Luft der Oberwelt und alle, die sie atmeten; und eine schreckliche Abschlussszene zeigte einen primitiv aussehenden Mann, vielleicht einen Pionier des vorzeitlichen Irem, der Stadt der Säulen, wie er von Angehörigen der älteren Rasse in Stücke gerissen wird. Ich weiß, wie sehr die Araber die Stadt ohne Namen fürchten, und war froh, dass die grauen Wände und die Decke nach dieser Stelle unbemalt waren.
    Während ich den Prunk dieser geschichtlichen Wandgemälde betrachtete, näherte ich mich dem Ende der niedrigen Halle und gewahrte ein Tor, durch das all die phosphoreszierende Helligkeit hereinströmte. Als ich zu ihm emporkroch, entfuhr mir ein Ausruf höchsten Staunens angesichts dessen, was dahinter lag – denn statt weiterer und hellerer Räume dehnte sich dort eine endlose Leere gleichförmigen strahlenden Glanzes, wie man es vielleicht sieht, wenn man vom Gipfel des Mount Everest auf ein Meer sonnenbestrahlten Nebels hinabblickt. Hinter mir befand sich ein Gang, der so niedrig war, dass ich darin nicht einmal aufrecht stehen konnte, und vor mir erstreckte sich eine Unendlichkeit unterirdischen Leuchtens.
    Vom Gang führte eine steile Treppe in den Abgrund hinab – kleine zahlreiche Stufen, wie in den dunklen Schlünden, die ich durchwandert hatte –, doch schon nach wenigen Metern wurde alles von den leuchtenden Schwaden verhüllt. An der linken Wand des Ganges lehnte weit aufgestoßen eine Tür aus massivem Messing, unglaublich dick und verziert mit fantastischen Basreliefs, die, falls man sie schloss, die gesamte unterirdische Welt aus Licht von den Gewölben und Felsgängen abschneiden konnte. Ich schaute zu den Stufen, wagte es aber nicht, sie zu betreten, und berührte die offen stehende Messingtür, vermochte jedoch nicht sie zu bewegen. Dann sank ich ausgestreckt auf den Steinboden nieder, mein Verstand entflammt von einzigartigen Überlegungen, die selbst meine todesähnliche Erschöpfung nicht zu bannen vermochte.
    Als ich ruhig mit geschlossenen Augen dalag, frei meinen Gedanken nachhängend, drängten zahlreiche Dinge, die ich an den Fresken nur beiläufig bemerkt hatte, voll neuer und schrecklicher Bedeutung in mein Bewusstsein zurück – Szenen, die die Stadt ohne Namen in ihrer Glanzzeit zeigten, die Vegetation des umliegenden Tales und die fernen Länder, mit denen ihre Kaufleute Handel trieben. Die Allegorie der kriechenden Wesen verwirrte mich in ihrer Hartnäckigkeit, und ich wunderte mich, dass sie in einer geschichtlichen Überlieferung von solch enormer Bedeutung derart unbeirrt durchgehalten wurde.
    Die Fresken hatten die Stadt ohne Namen in Größenverhältnissen gezeigt, die zu den Reptilien passten. Ich fragte mich, wie groß und prächtig

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