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Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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ihre Bauten wirklich gewesen sein mochten, und verweilte in Gedanken einen Moment lang bei den Seltsamkeiten, die mir an den Ruinen aufgefallen waren. So zerbrach ich mir den Kopf darüber, weshalb der urtümliche Tempel und der unterirdische Gang so niedrig waren. Zweifellos waren sie aus Ehrerbietung gegenüber den reptilischen Gottheiten, denen dort gehuldigt wurde, so aus dem Fels geschlagen worden, obgleich dies die Huldiger notgedrungen zum Kriechen niederzwang. Vielleicht verlangten die Riten, die hier begangen wurden, ein Kriechen in Nachahmung der verehrten Geschöpfe. Keine religiöse Theorie hingegen vermochte zu erklären, warum die ebenen Gänge jenes furchtbaren Abstiegs ebenso niedrig sein mussten wie die Tempel – niedriger sogar, da man darin noch nicht einmal knien konnte. Als ich an die kriechenden Wesen dachte, deren schreckliche mumifizierte Körper mir so nahe waren, spürte ich erneut das Pochen der Angst. Gedankenverknüpfungen sind zuweilen sonderbar, und ich schauderte angesichts der Vorstellung, dass – abgesehen von dem bedauernswerten primitiven Mann, der auf dem letzten Bild zerfleischt wurde – inmitten dieser zahllosen Relikte und Symbole uranfänglichen Lebens ich allein eine menschliche Gestalt besaß.
    Doch wie bisher stets in meinem eigenartigen Wanderleben vertrieb bald Neugier die Furcht; denn der leuchtende Abgrund und was er enthalten mochte stellten ein Rätsel dar, würdig des größten Entdeckers. Dass am Ende jener langen Abwärtsflucht befremdlich kleiner Stufen eine unheimliche Welt der Geheimnisse wartete, bezweifelte ich nicht und hoffte dort unten jene menschlichen Spuren zu finden, die die Malereien des Korridors vermissen ließen. Die Fresken hatten unglaubliche Städte und Täler dieser Unterwelt offenbart, und meine Fantasie schwelgte in den gewaltigen und prächtigen Ruinen, die auf mich warteten.
    Meine Ängste galten eher der Vergangenheit als der Zukunft. Selbst der körperliche Schrecken meiner Lage in diesem klaustrophobischen Gang voller toter Reptilwesen und vorsintflutlicher Fresken, Kilometer unterhalb der mir bekannten Welt und eine weitere Welt schaurig leuchtenden Nebels verheißend, konnte es nicht mit der tödlichen Furcht aufnehmen, die ich vor dem abgrundtiefen Alter des Ortes und seiner Seele empfand. Ein Alter, so unermesslich, dass Maßstäbe nichts mehr galten, schien von den Steinen und Felsentempeln der Stadt ohne Namen herabzuschielen, während die jüngsten der staunenswerten Landkarten auf den Fresken Meere und Kontinente zeigten, die der Mensch vergessen hat und die nur hie und da einen vage vertrauten Umriss aufwiesen. Was sich im Lauf jener Erdalter ereignet haben mochte seitdem die Malereien aufhörten und die den Tod verabscheuende Rasse sich unwillig dem Niedergang ergab, weiß kein Mensch. Einst hatten diese Höhlen und das darunterliegende lichterfüllte Reich vor Leben gewimmelt; nun jedoch war ich allein mit den vielsagenden Relikten und ich zitterte beim Gedanken an die ungezählten Zeitalter, in deren Verlauf sie stumm und einsam Wacht gehalten hatten.
    Plötzlich überkam mich erneut jene heftige Angst, die mich in Abständen immer wieder befallen hatte, seit ich das schreckliche Tal und die Stadt ohne Namen im Licht des kalten Mondes zum ersten Mal gesehen hatte. Trotz meiner Erschöpfung sprang ich wie gepeitscht in eine sitzende Haltung und starrte durch den schwarzen Korridor zurück in Richtung der Schächte, die zur Außenwelt hinaufstrebten. Meine Empfindungen glichen denen, die mich die Stadt ohne Namen bei Nacht hatten meiden lassen, und sie waren ebenso unerklärlich wie ausgeprägt.
    Im nächsten Augenblick jedoch ereilte mich ein noch heftigerer Schock, und zwar in Form eines deutlichen Geräuschs – des ersten, das die vollkommene Stille dieser Grabestiefen durchbrach. Es handelte sich um ein tiefes, schwaches Stöhnen, wie von einer fernen Horde verdammter Seelen. Es rührte aus der Richtung, in die ich starrte. Die Lautstärke schwoll rapide an, bis es bald fürchterlich durch den niederen Gang widerhallte, und zugleich bemerkte ich einen zunehmenden, kalten Luftzug, der aus den Schächten und ebenso aus der Stadt herblies. Die Berührung dieser Luft schien mich wieder zur Besinnung zu bringen, denn augenblicklich erinnerte ich mich an die Windstöße, die sich jedes Mal bei Sonnenuntergang und Sonnenaufgang um die Mündung des Abgrundes erhoben hatten und von denen mir einer die verborgenen Schächte

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