Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)
Die bringen Viecher hoch, wo se herkommen, un’ bringen se in die Stadt – das machen se schon seit Jahren, un’ seit Kurzem ham se ’n bisschen langsam damit gemacht. Diese Häuser nördlich vom Fluss zwischen der Water un’ der Main Street sin’ voll davon – voll mit diesen Teufeln un’ dem, was se mitbringen – und wenn se so weit sin’ … Ich sage, wenn se so weit sin’ … ham Se schon mal was von Shoggothen gehört?
He, hör’n Se mich? Ich sag Ihnen, ich weiß, was diese Dinger sin’ – ich hab se eines Nachts gesehn, als … EH-AHHHH-AH! E’YAAHHHH …«
Der unmenschlich schreckliche Schrei des alten Mannes kam so plötzlich, dass ich beinahe die Besinnung verlor. Seine Augen, die an mir vorbei auf das übel riechende Meer starrten, traten fast aus dem Kopf, derweil sein Gesicht eine Maske der Furcht war, würdig einer griechischen Tragödie. Seine knochige Klaue bohrte sich auf grässliche Weise in meine Schulter, und er bewegte sich nicht, als ich meinen Kopf wandte, um zu sehen, was er erblickt haben mochte.
Da war nichts zu sehen. Einzig die herannahende Flut, die an einer Stelle vielleicht etwas stärker aufgewühlt war als sonst innerhalb der lang gezogenen Front der Wogen. Doch Zadok schüttelte mich jetzt, und ich drehte mich wieder um, um zu beobachten, wie das vor Furcht erstarrte Gesicht zu einem Chaos zuckender Augenlider und murmelnden Zahnfleisches zerschmolz. Alsbald fand er seine Stimme wieder – wenngleich nur mehr als zitterndes Flüstern.
» Machen Se sich fort von hier! Machen Se sich fort von hier! Die ham uns gesehn – laufen Se um Ihr Leben! Warten Se nich’ ab – die wissen’s nun – laufen Se um Ihr Leben – schnell – raus aus dieser Stadt –«
Eine weitere schwere Welle zerbarst am bröckelnden Mauerwerk des ehemaligen Kais und wandelte das Flüstern des alten Irren in einen neuerlichen unmenschlichen und grausigen Schrei. »E-YAAHHHH! … YHAAAAAAA! …«
Noch ehe ich meine aufgewühlten Sinne wieder beisammenhatte, ließ er meine Schulter los und rannte wie irre landeinwärts in Richtung Straße, um an der Mauer des zerfallenen Warenkontors entlang nach Norden zu hetzen.
Ich blickte zurück aufs Meer, doch dort war nichts zu entdecken. Und als ich die Water Street erreichte und sie in nördlicher Richtung hinabschaute, war von Zadok Allen keine Spur mehr zu sehen.
IV
Ich vermag kaum, die Stimmung zu beschreiben, in der dieses peinigende Erlebnis mich zurückließ – ein Erlebnis, das zugleich wahnsinnig und erbarmungswürdig, grotesk und erschreckend war. Der junge Mann im Lebensmittelladen hatte mich darauf vorbereitet und doch hatte die Wirklichkeit dadurch nichts an bestürzender und verstörender Kraft eingebüßt. So kindisch die Geschichte auch war, der irre Ernst und das Entsetzen des alten Zadok hatten mir eine wachsende Beunruhigung eingegeben, die sich mit meinem früheren Gefühl des Abscheus vor dieser Stadt und ihrem Pesthauch ungreifbarer Schatten vermischte.
Später konnte ich die Erzählung noch einmal analysieren und vielleicht einen Kern historischer Wahrheit aus ihr ziehen; fürs Erste aber wollte ich sie einfach nur vergessen. Es war bereits bedrohlich spät geworden – meine Uhr zeigte 19.15 Uhr an, und der Bus nach Arkham fuhr um 20.00 Uhr am Marktplatz ab –, und so versuchte ich, meine Gedanken in eine möglichst neutrale und praktische Richtung zu lenken, derweil ich rasch durch die verlassenen Straßen mit den schiefen Häusern und ihren lückenhaften Dächern hin zu dem Hotel eilte, wo ich meinen Koffer abgegeben hatte und wo ich den Bus finden würde.
Obgleich das goldene Licht des späten Nachmittags den uralten Dächern und baufälligen Schornsteinen eine Ausstrahlung mystischen Liebreizes und Friedens verlieh, konnte ich nicht umhin, dann und wann über meine Schulter zu spähen. Ich würde gewiss sehr froh darüber sein, das übel riechende und von Furcht überschattete Innsmouth hinter mir zu lassen, und wünschte nur, es gäbe dafür ein anderes Mittel als den Bus, der von dem finster aussehenden Sargent gesteuert wurde. Und doch überstürzte ich meine Hast nicht, denn es gab an jedem stillen Winkel architektonische Einzelheiten zu bestaunen, und ich konnte meinen Berechnungen zufolge die verbleibende Strecke binnen einer halben Stunde zurücklegen.
Als ich die Karte des jungen Mannes aus dem Lebensmittelladen studierte und einen Weg suchte, den ich zuvor noch nicht beschritten hatte, wählte ich anstelle
Weitere Kostenlose Bücher