Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)
Gestaltung und wären seines Wissens nie öffentlich getragen worden, wenngleich meine Großmutter sie sich gerne betrachtet hätte. Vage Legenden, dass sie Unglück bringen würden, rankten sich um die Stücke, und die französische Gouvernante meiner Urgroßmutter hatte gesagt, man solle sie nicht in Neuengland tragen, obgleich es völlig ungefährlich sei, dies in Europa zu tun.
Als mein Onkel langsam und widerwillig begann, diese Gegenstände auszupacken, hielt er mich dazu an, mich nicht über die Merkwürdigkeit und Scheußlichkeit der Gestaltung zu entsetzen. Künstler und Archäologen, die sie gesehen hatten, hätten das handwerkliche Geschick als überragend und exotisch bezeichnet, obgleich keiner von ihnen in der Lage gewesen sei, das Material genau zu bestimmen oder die Stücke einer bestimmten künstlerischen Tradition zuzuordnen. Es handelte sich um zwei Armreifen, eine Tiara und eine Art Pektorale, wobei Letztere im Hochrelief mit Gestalten von fast unerträglicher Verrücktheit verziert war.
Während dieser Betrachtung hatte ich meine Gefühle stark in Zaum gehalten, doch mein Gesicht verriet wohl meine wachsende Furcht. Mein Onkel sah besorgt aus und hielt mit dem Öffnen der Schatulle inne, um meinen Gesichtsausdruck zu erforschen. Ich bedeutete ihm, er solle fortfahren, was er nach neuerlichem Zögern auch tat. Er schien eine Reaktion zu erwarten, als das erste Stück – die Tiara – sichtbar wurde, doch ich bezweifle, dass er wirklich auf das gefasst gewesen war, was dann tatsächlich geschah. Auch ich hatte es nicht erwartet, denn ich glaubte mich gründlich vorgewarnt, was diese Schmuckstücke betraf. Ich fiel still und leise in Ohnmacht, genau so wie ich es in jenem von Dorngestrüpp überwucherten Bahndurchgang ein Jahr zuvor getan hatte.
Von jenem Tage an ist mein Leben ein Albtraum aus Trübsinn und banger Erwartung gewesen, wenn ich auch nicht weiß, wie viel davon schreckliche Wahrheit und wie viel Wahnsinn ist. Meine Urgroßmutter war eine Marsh unbekannter Herkunft, deren Gatte in Arkham lebte – und hatte Zadok nicht gesagt, dass die Tochter von Obed Marsh und seiner monströsen Gattin durch einen Trick an einen Mann aus Arkham vermählt worden war? Was hatte der uralte Trunkenbold über die Ähnlichkeit meiner Augen mit jenen Kapitän Obeds gemurmelt? Auch der Kurator in Arkham hatte mir gesagt, ich habe die wahren Marsh-Augen. War Obed Marsh mein eigener Ururgroßvater? Wer – oder was – war dann meine Urgroßmutter? Aber vielleicht war all das Wahnsinn. Jene weißgoldenen Schmuckstücke hätten ohne Weiteres von einem Seemann aus Innsmouth stammen können, erstanden vom Vater meiner Urgroßmutter, wer immer er auch gewesen sein mag. Und jener Blick auf den starräugigen Gesichtern meiner Großmutter und meines selbstmörderischen Onkels mochte reine Einbildung von mir sein – reine Einbildung, gestärkt durch den Schatten über Innsmouth, der meine Fantasie so finster verfärbte. Doch warum hatte mein Onkel sich nach einer Ahnensuche in Neuengland getötet?
Mehr als zwei Jahre lang wehrte ich diese Gedanken mit gewissem Erfolg ab. Mein Vater verschaffte mir eine Anstellung in einem Versicherungsbüro und ich begrub mich so tief wie möglich im Arbeitsalltag. Im Winter 1930/31 begannen jedoch die Träume. Zu Anfang waren sie sehr selten und schleichend, doch nahmen sie im Laufe der Wochen an Häufigkeit und Lebendigkeit zu. Große Wasserflächen taten sich vor mir auf, und ich schien durch titanische versunkene Säulengänge und Irrgärten algenüberwucherter zyklopischer Mauern zu wandern, und groteske Fische waren meine Wegbegleiter. Dann tauchten allmählich die anderen Gestalten auf, die mich mit namenlosem Entsetzen erfüllten, sobald ich erwachte. Doch während der Träume entsetzten sie mich ganz und gar nicht – ich war eins mit ihnen; ich trug ihre diabolischen Schmuckstücke, beschritt ihre Unterwasserwege und betete auf ungeheuerliche Weise in ihren verderblichen Tempeln am Grunde des Meeres.
Da war noch viel mehr, woran ich mich nicht erinnern konnte, doch auch das, dessen ich mich jeden Morgen entsann, wäre ausreichend gewesen, mich als Irren oder als Genie abzustempeln, hätte ich je gewagt, es niederzuschreiben. Ein fürchterlicher Einfluss, so fühlte ich, versuchte, mich nach und nach aus der normalen Welt gesunden Lebens in einen unnennbaren Abgrund der Schwärze und Fremdheit zu zerren; und dieser Prozess nahm mich schwer mit. Meine Gesundheit und mein
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