Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)
Bücher zurate zu ziehen, und vor seinem wölfischen, düsteren Gesicht mit dem eisengrauen Bartgestrüpp hatte es mich geekelt. Er war unter sonderbaren Umständen im Wahnsinn gestorben, kurz bevor seine Tochter (die seinem testamentarischen Wunsch entsprechend unter die Vormundschaft des Schulleiters gestellt worden war) auf die Hall-Schule ging, doch zuvor war sie die unersättliche Schülerin des Alten gewesen und zuweilen sah sie genauso teuflisch aus wie er.
Als die Neuigkeit von Edwards Bekanntschaft mit ihr die Runde machte, erzählte mir der Freund, dessen Tochter mit Asenath Waite die Schule besucht hatte, noch viel eigenartigere Dinge über sie. Als Asenath in der Schule einmal als Zauberin auftrat, sei es ihr offenbar gelungen, einige höchst verblüffende Gaukeleien zustande zu bringen. Sie habe versichert, Gewitter herbeirufen zu können, doch man schrieb ihren Erfolg eher einer unheimlichen Gabe der Vorahnung zu. Tiere hegten eine entschiedene Abneigung gegen sie und mit gewissen Gesten der rechten Hand könne sie Hunde zum Heulen bringen. Gelegentlich offenbare sie eine einzigartige Sprachbeherrschung und ein Wissen, das für ein junges Mädchen wirklich befremdend – und sehr schockierend – sei, und sie habe eine geradezu obszön-gemeine Freude daran, ihre Mitschülerinnen zu ängstigen, indem sie sie anstarre und ihre Augen unbeschreiblich rolle.
Am ungewöhnlichsten waren jedoch die gut bezeugten Fälle ihres Einflusses auf andere Personen. Sie war ohne jede Frage eine wirkliche Meisterin der Hypnose. Wenn sie eine ihrer Mitschülerinnen auf ganz besondere Weise anstarrte, konnte sie dieser oftmals das deutliche Gefühl des Austausches der Persönlichkeit vermitteln – als sei das Opfer einen Moment lang im Körper der Zauberin und fähig, über das Zimmer hinweg auf seinen eigenen Körper zu blicken, in dessen Augen ein völlig fremder Ausdruck aufflammte.
Asenath stellte auch häufig wilde Behauptungen über das Wesen des Bewusstseins und seine Unabhängigkeit von der körperlichen Hülle auf – oder zumindest über die Lebensprozesse der körperlichen Hülle. Richtig zornig machte es sie, nicht als Mann geboren zu sein, denn sie glaubte, dass das Gehirn eines Mannes besondere und weitreichende kosmische Kräfte aufweise. Ausgestattet mit einem männlichen Hirn, so erklärte sie, könne sie ihrem Vater in der Beherrschung unbekannter Mächte nicht nur ebenbürtig werden, sondern ihn gar übertreffen.
Edward lernte Asenath bei einer Zusammenkunft der ›Intelligentsia‹ kennen, die in den Räumen eines Studenten abgehalten wurde, und als er mich am nächsten Tag besuchte, sprach er die gesamte Zeit nur über sie. Er sagte, sie sei sehr gebildet und sie interessiere sich genau für die Dinge, die auch ihn am meisten fesselten, und von ihrem Äußeren schwärmte er über alle Maßen. Ich hatte die junge Frau nie gesehen und entsann mich beiläufiger Erwähnungen nur schwach, wusste aber, wer sie war. Es schien mir recht bedauerlich, dass Derby sich gerade für sie interessierte, sagte aber nichts dazu, da Vernarrtheit an Widerstand bloß gedeiht. Seinem Vater gegenüber hatte er sie noch nicht erwähnt.
In den folgenden Wochen sprach der junge Derby immerzu über Asenath. Auch andere nahmen nun Notiz von Edwards später Schwärmerei, mussten aber zugeben, dass er recht gut zu seiner bizarren Göttin passte, denn er wirkte jünger, als er war. Trotz seiner Trägheit und Maßlosigkeit war er gerade nur eine Spur zu dick und sein Gesicht ohne jede Falte. Asenath hingegen hatte die vorzeitigen Krähenfüße, die einen starken Willen anzeigen.
In dieser Zeit brachte Edward das Mädchen zu einem Besuch bei mir mit, und ich erkannte sofort, dass sein Interesse keinesfalls einseitig war. Sie sah ihn beständig mit der Gier eines Raubtiers an, und ich spürte, dass ihre Freundschaft nicht mehr zu lockern war. Bald danach erhielt ich Besuch vom alten Mr. Derby, für den ich immer Bewunderung und Achtung empfunden hatte. Er hatte von der Romanze seines Sohnes gehört und »dem Jungen« schließlich die ganze Wahrheit entlockt. Edward wollte Asenath heiraten. Er hatte sich sogar schon Häuser in den Vororten angesehen. Da er um meinen großen Einfluss auf seinen Sohn wusste, fragte der Vater mich, ob ich nicht helfen könne, diese unbesonnene Affäre zu beenden; doch ich musste ihm leider antworten, dass ich das bezweifelte. Dieses Mal ging es nicht um Edwards schwachen Willen, sondern um den
Weitere Kostenlose Bücher