Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)
gemacht.
Ein möglicher literarischer Einfluss auf ›The Thing on the Doorstep‹ ist Henry Burgess Drake ›The Shadowy Thing‹, New York 1928, ein Roman über einen Mann, der seinen Geist in andere Körper versetzen kann. Die Idee eines förmlichen Tausches (welche die Frage beantwortet, was mit dem verdrängten Geist geschieht) ist jedoch Lovecrafts eigene Zutat; in einem sehr viel tieferen Sinn wird er sie wiederum in der Erzählung ›The Shadow Out of Time‹ verwenden, deren Niederschrift ein gutes Jahr später (am 10. November 1934) begann. Die kreative Grundidee von ›The Thing on the Doorstep‹ kann an einer Eintragung (Nr. 158) in Lovecrafts Commonplace-Book verfolgt werden (seinem literarischen Notizbuch): »Ein Mann hat einen grässlichen Zauberer als Freund, der über ihn Einfluss gewinnt. Er tötet ihn, um seine Seele zu retten – er mauert die Leiche in einem alten Keller ein – ABER – der tote Zauberer (der merkwürdige Dinge über das Verweilen der Seele im Körper gesagt hatte) tauscht seinen Körper mit ihm … und lässt ihn bei vollem Bewusstsein als Leiche im Keller zurück.« Gedruckt wurde ›The Thing on the Doorstep‹ erst im Januarheft 1937 von Weird Tales, wenige Wochen vor Lovecrafts Tod.
Last not least: Die folgende Geschichte ist eine echte Horrorstory, die mit der richtigen Atmosphäre im Hintergrund, ungestört und an einem Stück gelesen sein will. Sollten Sie es an der Wohnungstür klopfen hören, zweimal und mit einem kleinen Abstand noch dreimal, hat sich der Erzähler offenbar erfolgreich in Ihrer Fantasie eingenistet …
Das Ding auf der Schwelle
I
Es ist wahr, dass ich meinem besten Freund sechs Kugeln durch den Kopf gejagt habe, und dennoch hoffe ich, mit dieser Aussage zu beweisen, dass nicht ich sein Mörder bin. Zunächst wird man mich einen Wahnsinnigen nennen – wahnsinniger noch als der Mann, den ich in seiner Zelle in der Heilanstalt von Arkham niedergeschossen habe. Später werden manche meiner Leser jede meiner Behauptungen gegen die bekannten Tatsachen abwägen und sich selbst die Frage stellen, was ich denn anderes hätte tun sollen, nachdem ich den Beweis des Grauens erblickt hatte – jenes Ding auf der Türschwelle.
Auch ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt nichts anderes als Wahnsinn in den abenteuerlichen Geschichten gesehen, nach denen ich gehandelt habe. Selbst jetzt noch frage ich mich, ob ich nicht in die Irre geführt wurde – oder ob ich letzten Endes nicht doch geistesgestört bin. Ich weiß es nicht – doch auch andere können merkwürdige Dinge über Edward und Asenath Derby berichten, und sogar die verlässlichen Polizisten sind mit ihrem Latein am Ende, was die Erklärung jenes letzten schrecklichen Besuches angeht. Sie haben sich eine schwache Theorie ersonnen, nach der es sich um einen grausigen Schabernack oder eine Rache der entlassenen Dienstboten gehandelt hat, doch wissen sie tief in ihren Herzen, dass die Wahrheit unendlich schrecklicher und unglaublicher ist.
Und so sage ich also, dass ich Edward Derby nicht ermordet habe. Ich habe ihn vielmehr gerächt, und indem ich das tat, habe ich die Erde von einem Grauen befreit, dessen Weiterleben wohl ungeahnte Schrecken über die Menschheit gebracht hätte. Am Rande unserer alltäglichen Pfade existieren schwarze Orte voller Schatten und dann und wann gelingt einer bösen Seele der Übergang. Geschieht dies, so muss der wissende Mensch zuschlagen, ehe er sich über die Folgen Gedanken macht.
Ich habe Edward Pickman Derby sein ganzes Leben lang gekannt. Er war zwar acht Jahre jünger als ich, aber so frühreif, dass wir schon zu der Zeit, als er acht und ich sechzehn war, sehr viel gemeinsam hatten. Er war das außerordentlichste Wunderkind, das ich je gekannt habe: Im Alter von sieben Jahren schrieb er Gedichte mit solch finstrem, fantastischem, geradezu grässlichem Inhalt, dass seine Lehrer staunten. Vielleicht hatte seine private, verhätschelte Erziehung etwas mit seiner frühreifen Entfaltung zu tun. Er war ein Einzelkind und sein Körper etwas unterentwickelt, was seine in ihn vernarrten Eltern beunruhigte und sie dazu veranlasste, ihn immer in ihrer Nähe zu halten. Nie durfte er ohne sein Kindermädchen aus dem Haus gehen, und nur selten hatte er die Möglichkeit, ungezwungen mit anderen Kindern zu spielen. All dies begünstigte zweifellos das merkwürdige, geheime Innenleben des Jungen, dem als einziger Weg in die Freiheit die Fantasie blieb.
Auf jeden Fall war seine
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