Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)
frühreife Gelehrsamkeit sonderbar und bizarr; und seine schriftlichen Arbeiten, die ihm leicht von der Hand gingen, vermochten mich trotz des Altersunterschiedes zu fesseln. Zu dieser Zeit hegte ich eine Vorliebe für Kunst von recht grotesker Art, und in diesem Jungen fand ich einen seltenen Geistesbruder. Was unsere gemeinsame Liebe zum Düstren und Wunderlichen nährte, war ohne Zweifel die uralte, vermodernde und unterschwellig Angst einflößende Stadt, in der wir lebten – das von Hexen verfluchte, von Legenden heimgesuchte Arkham, dessen zusammengedrängte durchhängende Walmdächer und zerbröckelnde georgianische Balustraden nun schon Jahrhunderte hindurch am Ufer des düster murmelnden Miskatonic-River brüteten.
Im Laufe der Zeit interessierte ich mich immer mehr für die Architektur und gab mein Vorhaben auf, ein Buch von Edwards dämonischen Gedichten zu illustrieren, doch unsere Kameradschaft litt darunter nicht. Das eigenartige Genie des jungen Derby entwickelte sich in bemerkenswerter Weise und als er achtzehn Jahre alt war und seine Nachtmahr-Lyrik unter dem Titel Azathoth und andere Schrecken zusammenfasste und veröffentlichte, erregte das großes Aufsehen. Er war ein enger Brieffreund des berüchtigten, in der Manier Baudelaires schreibenden Dichters Justin Geoffrey, der Das Volk des Monolithen verfasst hatte und der 1926, nach dem Besuch in einem finsteren, übel beleumdeten Dorf in Ungarn, schreiend im Irrenhaus starb.
Die verhätschelnde Erziehung hatte Derby sehr unselbstständig werden lassen; seine Gesundheit hatte sich zwar gebessert, doch seine kindliche Abhängigkeit wurde von den übervorsichtigen Eltern noch unterstützt, also verreiste er nie alleine, traf keine freien Entscheidungen und musste niemals Verantwortung übernehmen. Man erkannte schon früh, dass er einem Kampf in der Berufs- und Geschäftswelt nicht gewachsen sein würde, doch war das Familienvermögen so stattlich, dass dies keine Tragödie darstellte. Als er erwachsen wurde, bewahrte er sich ein trügerisch jungenhaftes Äußeres. Er war blond und blauäugig und hatte das frische Aussehen eines Kindes; seine Versuche, sich einen Oberlippenbart stehen zu lassen, waren nur mit Mühe erkennbar. Seine Stimme klang sanft und hell, und seine unsportliche Lebensführung verlieh ihm eine jugendliche Pausbäckigkeit anstelle der Dickleibigkeit vorzeitigen Alters. Er war recht groß, und sein hübsches Gesicht hätte ihn zu einem echten Herzensbrecher machen können, hätte seine Schüchternheit ihn nicht in die Abgeschiedenheit und Gelehrsamkeit geführt.
Derbys Eltern nahmen ihn jeden Sommer mit ins Ausland, und er erfasste rasch die äußeren Aspekte der europäischen Kultur. In ihm erwachten andere künstlerische Empfindungen und Wünsche; seine Poe gleichkommende Begabung wandte sich immer stärker dem Dekadenten zu. In jenen Tagen führten wir großartige Diskussionen. Ich besuchte Harvard, lernte im Büro eines Bostoner Architekten, vermählte mich und kehrte schließlich nach Arkham zurück, um meinen Beruf auszuüben – dazu ließ ich mich im Haus unserer Familie in der Saltonstall Street nieder, da mein Vater aus Gesundheitsgründen nach Florida gezogen war. Edward stattete mir fast jeden Abend seinen Besuch ab, bis ich ihn fast als Teil des Haushaltes betrachtete. Er hatte eine für ihn charakteristische Weise, an der Tür zu läuten oder anzuklopfen, die sich zu einem Erkennungszeichen entwickelte, sodass ich nach dem Abendessen stets auf die drei vertrauten forschen Schläge horchte, denen nach einer Pause zwei weitere folgten. Seltener suchte ich ihn in seinem Haus auf, wo ich voller Neid die obskuren Bände seiner beständig anwachsenden Bibliothek bemerkte.
Derby besuchte die Miskatonic-Universität in Arkham, da seine Eltern ihm nicht gestatteten, an einen andern Ort zu ziehen. Er schrieb sich im Alter von sechzehn ein und beendete sein Studium drei Jahre später; seine Hauptfächer waren englische und französische Literatur, und außer in Mathematik und Naturwissenschaft erhielt er überall beste Noten. Er mischte sich sehr wenig unter die anderen Studenten, obschon er neiderfüllt auf die Draufgänger oder bohèmiens blickte – deren nachlässig smarte Sprache und kindisch sarkastische Pose er nachäffte und deren zweifelhaftes Gehabe er gern übernommen hätte, wäre er nur mutig genug gewesen.
Stattdessen wurde er zu einem fast fanatischen Jünger der magischen Geheimlehren, für welche die
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