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Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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ließ sich erkennen, dass die horizontalen Friese an den Außenseiten der Mauern mit ihren nahezu ausgelöschten Bildwerken und Punktmustern sehr häufig vorkamen, und wir konnten uns halbwegs vorstellen, wie die Stadt einstmals ausgesehen haben musste – obschon die meisten Dächer und Turmspitzen ja nicht mehr existierten. Es musste sich um ein komplexes Gewirr verschlungener Durchgänge und Gassen gehandelt haben, tiefen Schluchten ähnlich, die manchmal wegen der überhängenden Mauern und der weiter oben verlaufenden Brücken eher an Tunnel erinnerten. So wie die Ruinenstadt sich jetzt unter uns ausdehnte, hob sie sich wie ein düsteres Hirngespinst vor den Nebeln des Westens ab, deren nördliche Ausläufer die rötlichen Strahlen der tiefstehenden, antarktischen Frühnachmittagssonne nur mühsam durchdrangen – und als diese Sonne einen Augenblick lang hinter dichteren Nebeln verschwand und die Szenerie vorübergehend in Schatten getaucht wurde, erfasste uns ein derart subtiles Gefühl der Bedrohung, dass ich dafür niemals Worte finden werde. Selbst das schwache Heulen und Pfeifen des kalten Windes in den mächtigen Gebirgspässen hinter uns klang plötzlich wilder und zielbewusst böse. Die letzte Etappe unseres Abstiegs zur Stadt führte steil hinab, und eine freiliegende Felskante an der Stelle, wo die Böschung begann, ließ uns vermuten, dass hier einmal eine künstlich angelegte Terrasse gewesen war. Wir nahmen an, dass unter der Eisdecke eine Treppe oder etwas Vergleichbares verborgen lag.
    Als wir schließlich in der Stadt selbst ankamen, über herabgefallenes Mauerwerk kletterten und vor der beklemmenden Nähe und unglaublichen Höhe der allgegenwärtigen, bröckelnden und löchrigen Mauern erschauderten, ergriffen uns abermals so starke Empfindungen, dass ich noch immer über unsere Selbstbeherrschung staunen muss.
    Danforth war sichtlich nervös und äußerte einige ekelhafte Überlegungen über die Gräuel im Lager – was mir besonders missfiel, denn angesichts zahlreicher Merkmale dieser ungesunden Überreste aus albtraumhafter Vorzeit drängten sich einige seiner Schlussfolgerungen auch mir geradezu auf. Danforths Vermutungen wirkten sich auf seine Fantasie aus; denn an einer Stelle – wo eine schuttbedeckte Gasse scharf abbog – beharrte er darauf, schwache Spuren auf dem Boden zu erkennen, die ihm ganz und gar nicht gefielen; etwas später blieb er plötzlich stehen, um einem schwachen, eingebildeten Geräusch aus unbestimmbarer Richtung zu lauschen – einem gedämpften, melodischen Pfeifen, wie er erklärte, nicht unähnlich dem des Windes in den Gebirgshöhlen, und doch irgendwie unheilvoll anders. Das unaufhörlich wiederkehrende Motiv der fünfzackigen Sterne in der Architektur ringsum und in den wenigen noch erkennbaren Mauerdekorationen strahlte eine düstere Macht aus, der wir uns nicht entziehen konnten, und verlieh uns einen Anflug unterbewusster und doch schrecklicher Klarheit in Bezug auf die urzeitlichen Wesen, die diesen unheiligen Ort erbaut und bewohnt hatten.
    In uns waren trotz alledem Wissensdurst und Abenteuerlust noch nicht gänzlich erloschen, und so schlugen wir nahezu mechanisch Proben sämtlicher Gesteinsarten ab, die in den Gemäuern vorkamen. Wir wollten eine möglichst vollständige Sammlung haben, um bessere Rückschlüsse auf das Alter dieser Stätte ziehen zu können. Kein Bestandteil der großen Außenmauern schien aus einer späteren Periode als dem ausgehenden Jura oder der beginnenden Kreidezeit zu stammen, noch war in der ganzen Umgebung auch nur ein einziger Steinbrocken zu finden, der aus jüngerer Zeit als dem Pliozän datierte. Kein Zweifel, wir wandelten hier inmitten eines Todes, dessen Herrschaft seit mindestens fünfhunderttausend Jahren anhielt, wahrscheinlich sogar schon länger.
    Während wir im Zwielicht der Schatten riesiger Steinmonumente durch diesen Irrgarten vorrückten, blieben wir vor allen zugänglichen Maueröffnungen stehen, um die Innenräume zu begutachten und Zutrittsmöglichkeiten ausfindig zu machen. Einige Öffnungen lagen oberhalb unserer Reichweite, andere hingegen führten lediglich in eisgefüllte Ruinen, die ebenso abgedacht und leer waren wie das Bollwerk auf dem Hügel. Ein Raum, obwohl weit und einladend, führte lediglich in einen offenbar bodenlosen Schlund ohne eine sichtbare Abstiegsmöglichkeit.
    Hin und wieder ergab sich die Gelegenheit, das versteinerte Holz eines erhalten gebliebenen Fensterladens zu

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