Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)
untersuchen, und wir waren beeindruckt von dem sagenhaften Alter, das sich aus den immer noch erkennbaren Maserungen ablesen ließ. Dieses Holz stammte von mesozoischen Gymnospermen und Koniferen – insbesondere kreidezeitlichen Palmfarnen – sowie von Fächerpalmen und frühen Angiospermen fraglos tertiärer Herkunft. Auch hier fanden wir nichts, was sich eindeutig einer späteren Periode als dem Pliozän zuordnen ließ. Diese Läden – deren Kanten Spuren eigentümlicher und längst entschwundener Scharniere aufwiesen – waren in unterschiedlicher Weise angebracht, einige befanden sich auf der inneren, andere auf der äußeren Seite der tiefen Leibungen. Sie schienen sich in ihrer Position verklemmt zu haben, wodurch sie das Wegrosten ihrer einstigen und vermutlich metallischen Verankerungen überstanden hatten.
Nach einer Weile stießen wir auf eine ganze Reihe von Fenstern – sie befanden sich in den Ausbuchtungen eines riesigen fünfeckigen Kegels mit unversehrter Spitze –, die in einen geräumigen, gut erhaltenen Raum mit Steinfußboden führten. Die Fenster lagen aber so hoch über dem Boden, dass wir ein Seil brauchten, um hinabzugelangen. Wir hatten zwar ein Seil bei uns, doch wollten wir uns diesen über sechs Meter tiefen Abstieg nicht ohne zwingenden Anlass zumuten – schon gar nicht in der dünnen Luft dieses Hochplateaus, die das Herz doch sehr anstrengte. Dieser gewaltige Raum war vermutlich so etwas wie eine Halle oder Versammlungsstätte gewesen, und die Lichtkegel unserer Lampen erfassten deutliche, unterschiedliche und bei näherer Betrachtung womöglich erschreckende Reliefskulpturen, die sich als breite, horizontale Friese an den Wänden entlangzogen, unterbrochen von ebenso breiten Streifen mit konventionellem Schmuckwerk. Wir merkten uns diesen Ort, um vielleicht doch noch hinabzusteigen, sofern wir keinen leichter zugänglichen Innenraum mehr entdeckten.
Aber wir fanden schließlich genau so eine Öffnung wie wir sie uns gewünscht hatten: ein überwölbter Einlass von etwa 1,80 m Breite und 3 m Höhe, ehemals der Beginn einer hohen Brücke, die ungefähr 1,5 m oberhalb der jetzigen Eisdecke eine Gasse überspannt hatte. Dieser Zugang lag natürlich auf einer Ebene mit dem oberen Stockwerk, und in diesem Fall war der Zwischenboden noch erhalten. Das solchermaßen zugängliche Bauwerk bestand aus einigen rechteckigen Terrassen, die nach Westen blickten. Auf der gegenüberliegenden Seite der Gasse stand ein baufälliges, zylinderförmiges Gebäude ohne Fenster mit einer sonderbaren Ausbeulung etwa 3 m oberhalb des Torbogens. Der andere Zugang gähnte in der Mauer des Bauwerkes – drinnen war es stockfinster, er öffnete sich anscheinend in einen Schlund bodenloser Tiefe.
Angehäufter Schutt vereinfachte das Betreten des großen Gebäudes zu unserer Linken, und dennoch zögerten wir einen Augenblick, die lang ersehnte Gelegenheit zu nutzen – denn obwohl wir bereits ein gutes Stück in diese Ruinenlandschaft urzeitlichen Geheimnisses vorgedrungen waren, mussten wir neuen Mut sammeln, um tatsächlich den Fuß in ein vollständig erhaltenes Bauwerk einer sagenhaften uralten Welt zu setzen, über deren Natur wir immer deutlichere und immer schrecklichere Gewissheit gewannen. Schließlich fassten wir uns doch ein Herz und kletterten über den Schuttberg zu der klaffenden Öffnung empor. Der Raum, der sich dahinter erstreckte, hatte Wände aus großen Schieferplatten und führte in einen langen, hohen Korridor mit friesgeschmückten Wänden.
Als wir die zahlreichen Torbögen in den Wänden des Ganges sahen und erkannten, welch verzweigtes Labyrinth aus Zimmerfluchten uns dahinter vermutlich erwartete, beschlossen wir, dass wir nun unseren Weg wie bei der ›Schnitzeljagd‹ markieren mussten. Bisher hatten uns die Kompasse und häufiges Zurückblicken auf den zwischen den Türmen sichtbaren, gewaltigen Gebirgszug ausgereicht, um die Orientierung nicht zu verlieren; nun jedoch mussten wir uns mit der zusätzlichen Orientierungsmethode behelfen. Also zerrissen wir unser überschüssiges Papier zu Fetzen von geeigneter Größe, stopften diese in eine der Sammeltaschen, die Danforth trug, und wollten sie so sparsam verwenden wie es ein sicheres Zurechtfinden gestattete. Dies würde uns wahrscheinlich davor bewahren, uns zu verirren, da innerhalb des Bauwerks keine nennenswerte Zugluft herrschte. Falls sie doch entstehen sollte oder falls unser Vorrat an Papierschnitzeln nicht reichte,
Weitere Kostenlose Bücher