Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)
Gekreische, um weiter dem Abgrund entgegenzulaufen. Dass er zugänglich war, schien ja nunmehr eindeutig bewiesen, und anhand vereinzelter Pinguinspuren ließ sich seine Richtung klar erkennen.
Als wir wenig später durch einen langen, niedrigen, türlosen und relieffreien Gang steil in die Tiefe stiegen, waren wir sicher, uns endlich dem Tunneleingang zu nähern. Wir trafen auf zwei weitere Pinguine und hörten unmittelbar vor uns noch mehr. Der Gang mündete in ein gigantisches freies Gewölbe, das uns unwillkürlich den Atem anhalten ließ – eine vollendet gerundete Hohlkuppel, offensichtlich tief unter der Erde. Sie war volle dreißig Meter im Durchmesser und fünfzehn Meter hoch, mit niedrigen Torbögen, die sich ringsum auftaten, außer an einer Stelle, an der eine höhlenartige, schwarze, überwölbte Öffnung gähnte, die die Symmetrie der Gruft bis zu einer Höhe von nahezu vier Metern durchbrach. Es war der Zugang zum großen Abgrund.
Unter dieser gewaltigen Halbkugel, deren Decke in Anlehnung an den vorzeitlichen Himmelsdom mit eindrucksvollen Reliefs verziert war, watschelten ein paar Albinopinguine umher – Fremde an diesem Ort, unbeteiligt und blind. Der schwarze Tunnel fiel steil ins Bodenlose ab, seine Öffnung schmückten Pfeiler und ein Torsturz mit grotesken Steinschnitzereien. Aus diesem kryptischen Rachen meinten wir, einen Strom etwas wärmerer Luft zu verspüren, und vielleicht entwich ihm auch der Anflug eines Geruchs, und wir fragten uns, welche Lebewesen außer den Pinguinen die grenzenlosen Weiten dort unten und das damit verknüpfte Tunnelnetz im Herzen des titanischen Gebirges beherbergen mochten. Außerdem stellten wir uns die Frage, ob der sonderbare Rauchstreifen, den der bedauernswerte Lake anfangs über einer der Bergspitzen sah, und auch der seltsame Dunstschleier, den wir rund um dem mauergekrönten Gipfel wahrgenommen hatten, nicht vom Dampf herrührte, der durch verschlungene Kanäle aus den unergründeten Regionen des Erdkerns emporstieg.
Als wir den Tunnel betraten, erkannten wir, dass er – zumindest anfangs – etwa viereinhalb Meter breit und ebenso hoch war. Wände, Boden und die gewölbte Decke bestanden aus den üblichen Mauern aus Megalithgestein. An den Wänden fanden sich nur an wenigen Stellen die üblichen Zierrahmen in spätem Stil; das Mauerwerk und die Steinmetzarbeiten waren alle wunderbar erhalten. Der Boden war ziemlich sauber, abgesehen von einer dünnen Schuttschicht, in der sich die heraufführenden Pinguinfährten und die hinabführenden Spuren der anderen abzeichneten. Je weiter wir vorankamen, desto wärmer wurde es, sodass wir schon bald unsere dicken Schneejacken aufknöpften. Gab es dort unten wirklich eine vulkanische Tätigkeit und war das Wasser des sonnenlosen Sees heiß?
Bald wich das Mauerwerk gewachsenem Fels, obwohl der Tunnel die Abmessungen seines gemauerten Vorgängers beibehielt und weiterhin glatt gemeißelt war. Mitunter wurde sein Gefälle so stark, dass Rillen in den Boden gehauen worden waren. Mehrfach bemerkten wir Öffnungen in kleine Seitengänge, die wir nicht in unseren Plänen eingezeichnet hatten; keiner von ihnen würde das Zurückfinden erschweren, doch sie waren gut geeignet als mögliche Verstecke, falls wir auf unerünschte Wesen auf ihrem Weg aus dem Abgrund treffen sollten. Der unbeschreibliche Geruch dieser Geschöpfe war sehr ausgeprägt.
Zweifellos kam es selbstmörderischem Wahnsinn gleich, sich unter den gegebenen Umständen weiter in diesen Tunnel vorzuwagen, doch der Reiz des Unbekannten wirkt auf manche Menschen stärker als die meisten vermuten – und gerade durch ihn hatte es uns ja erst in diese unirdische polare Leere verschlagen. Wir gingen weiter und begegneten mehreren Pinguinen. Wie weit würden wir noch hinabsteigen müssen? Anhand der Reliefs hatten wir einen steilen Abstieg von etwa eineinhalb Kilometern erwartet, doch unser bisheriger Marsch zeigte, dass ihrem Maßstab wohl nicht ganz zu trauen war.
Nach etwa vierhundert Metern wurde dieser unmöglich zu beschreibende Gestank ungemein eindringlich, und wir schielten sehr gewissenhaft in die verschiedenen Seitengänge, an denen wir vorbeikamen. Hier gab es keinen Dunst wie zuvor am Eingang, doch fraglos lag dies daran, dass es hier unten keine kühlere Kontrastluft gab. Die Temperatur stieg schnell an und wir waren nicht überrascht, als wir einen achtlos hingeworfenen Haufen fanden, der uns schauderhaft vertraut vorkam. Es handelte sich um
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