Chroniken der Dunkelheit - 03 - Feuerkreis
sich zu den Augen eines Entführers vor, um herauszufinden, wohin man ihn brachte – von der Straße weg und in die Berge hinein. Er erstickte fast an dem schmutzigen Lappen in seinem Mund und versuchte ihn auszuspucken. Zugleich ließ er seinen Blick zum Lager zurückwandern. Er war immer davor zurückgeschreckt, die Augen seiner Gefährten zu benutzen, doch jetzt lieh er sich nur für einen kurzen Moment Cathbars Augen und sah Eolande weinend auf sich zurennen.
Endlich konnte er den Knebel ausspucken. Er holte tief Luft.
»Hilfe!«, brüllte er aus Leibeskräften. »Cathbar! Ich bin hier …«
Etwas traf ihn hart in den Magen, zugleich wurde ihm der Sack fester über Mund und Nase gezogen. Außer Atem und keuchend trat er wieder um sich. Er hörte einen Mann fluchen, dann verfielen die Männer in Laufschritt. Adrian hing zwischen ihnen und wurde bei jedem Schritt hin und her geschüttelt. Er hatte das Sackleinen im Mund, der Geruch von schimmeligem Getreide machte ihn schwindeln.
Er wusste nicht, wie lange er so getragen wurde. Ihm war von dem Gestank im Sack übel und er bekam nicht genügend Luft. Er versuchte wieder durch die Augen eines der Entführer zu blicken, sah aber nur die Steine auf dem Weg.
Dann verschwamm das Bild. Die Männer begannen bergan zu laufen und er versuchte sich wieder mit den Armen zu befreien. Der Griff an seinem Arm lockerte sich plötzlich und er fiel hinunter und schlug seitlich mit dem Kopf auf dem Boden auf. Er verlor die Augen des Entführers, durch die er geblickt hatte, und um ihn wurde es Nacht.
Er erwachte aus einem wirren Traum von Feuer und Blutvergießen. Der Untergrund, auf dem er lag, war hart und einen Moment lang überkam ihn Panik, denn er wusste weder, wo er sich befand, noch wie er dorthin gekommen war. Die Gestalten aus seinem Traum beschäftigten ihn. Er sah Männer und Frauen im roten Schein ihrer brennenden Häuser bewegungslos auf dem Boden liegen. Er wollte schreien – doch der Schrei erstarb auf seinen Lippen, als er das grobe Leinen im Gesicht spürte.
Die Erinnerung kehrte zurück. Er hatte pochende Schmerzen an der Stelle, auf die er gefallen war. Vergeblich wollte er die Hände heben. Sie waren aneinandergefesselt wie auch die Füße. Jetzt hörte er außerdem Stimmen. In einiger Entfernung saßen die Entführer und unterhielten sich. Vorsichtig schickte er seinen Blick aus und sah vier bärtige Männer, die es sich an einem Hang bequem gemacht hatten. Der Boden war mit grauen Steinen und dünnem, verdorrtem Gras bedeckt, weiter unten waren grüne Flecken zu sehen. Adrian unterdrückte ein Stöhnen. Seine Entführer machten Pause – offenbar in der Überzeugung, ihre Verfolger abgeschüttelt zu haben. Er war allein.
Sie unterhielten sich leise auf Dansk, aber mit einem sonderbar näselnden Akzent, er konnte sie deshalb bis auf einige einzelne Worte wie »Junge«, »unser Weg« und »bis Mittag« nicht verstehen. Dann stand einer von ihnen ächzend auf. Der Mann, durch dessen Augen er blickte, drehte den Kopf und blickte auf einen mit Seilen verschnürten Haufen Lumpen auf dem Boden neben ihm hinunter. Der Haufen bewegte sich – und Adrian kehrte hastig zu sich zurück. Schwere Schritte näherten sich knirschend.
Der Sack wurde ihm vom Kopf gezogen und er blickte in ein finsteres Gesicht, dessen runde Augen zwischen buschigen schwarzen Brauen und einem struppigen Schnurrbart kaum auszumachen waren. »Er ist wach!«, rief der Mann. »Gehen wir!«
Er bückte sich, zerschnitt das Seil um Adrians Füße und zog ihn unsanft hoch. »Ab jetzt läufst du selbst, Bürschchen«, knurrte er.
Die Entführer banden Adrian die Arme mit einem Seil an die Seiten. Dann packten zwei Männer die beiden Enden und ließen ihn zwischen sich gehen. Wenn er langsamer wurde, rissen sie ihn weiter. Ab und zu befahlen sie ihm, schneller zu gehen, ansonsten sagten sie nichts. Auch Adrian schwieg. Hatten die Männer ihn als Geisel genommen? Wussten sie etwa schon, wer sein Vater war? Von ihm würden sie es jedenfalls nicht erfahren. Er würde kein Wort sagen. Zwar sprach er inzwischen einigermaßen flüssig Dansk, aber er wollte nicht riskieren, sich durch seinen Akzent zu verraten.
Die Männer schlugen ein strammes Tempo an und fluchten, wenn Adrian stolperte, doch ansonsten taten sie ihm nichts. Er spürte ein dumpfes Pochen im Kopf, und es fiel ihm schwer, mit seinen an den Körper gefesselten Händen das Gleichgewicht zu halten. Als der Pfad steiler und holpriger
Weitere Kostenlose Bücher