Chroniken der Dunkelheit - 03 - Feuerkreis
verloren. Aber sehen wir ihn uns an.«
Adrian war auf einmal, als öffnete sich der Boden unter seinen Füßen. Bisher hatte der Mann Dansk gesprochen wie alle anderen Bewohner dieses Landes. Doch die letzten Worte hatte er auf Englisch gesagt. Adrian kannte die Stimme fast so gut wie seine eigene.
»Vater?«
Ein langes Schweigen folgte. Dann stand der Mann auf, ging um die Kiste zu Adrian und umfasste seine Schultern mit beiden Händen. Er wirkte nicht mehr so groß, wie Adrian ihn seit über zwei Jahren in Erinnerung hatte, aber seine Schultern waren noch genauso breit und seine blauen Augen genauso durchdringend.
»Adrian?«, sagte der Mann leise. »Was im Namen der Götter hast du hier zu suchen?«
Heored hatte seine beiden Unterführer entlassen und saß neben Adrian an der niedrigen, mit seitlichen Griffen versehenen Truhe. Die Karte war verschwunden, stattdessen hatte Heored etwas zu essen kommen lassen: Brot, Dörrobst, gutes Bier und einige Tauben, die seine Männer auf ihren Feuern draußen gebraten hatten. Der Heiler des Lagers hatte Adrians Kopf mit einem nach Kleie riechenden Breiumschlag verbunden, und an einer Wand des Zelts hatte man ihm ein Lager aus Fellen zurechtgemacht. Adrian sah ein oder zwei Mal sehnsüchtig hinüber, doch sein Vater wollte so viel von ihm wissen.
»Was machst du hier?«, fragte er, sobald sie allein waren. »Warum hast du deine Mutter verlassen?«
»Sie hat mich fortgeschickt.« Adrian betrachtete das Gesicht seines Vater im rauchigen Licht der Lampe, als müsste er es sich erneut einprägen – den kupferroten Bart, die buschigen Brauen und den ruhigen Blick. Wie vertraut es ihm war. Doch um die Augen sah er Falten, die er noch nicht kannte – Alter und die Last der Verantwortung hatten sie dort eingegraben. Er war einen kurzen Moment lang verunsichert. Vor ihm saß nicht nur sein Vater, sondern Heored, der König von Sussex und Anführer einer in ganz Britannien gefürchteten Armee.
Er erzählte seinem Vater von den Überfällen fremder Soldaten an den heimatlichen Küsten, die Branwen dazu bewogen hatten, ihn zu seinem Onkel ins Frankenreich zu schicken. Heored hörte ihm ernst zu.
»Eine weise Entscheidung«, sagte er schließlich, doch Adrian meinte zu sehen, wie sich ein Schatten auf sein Gesicht legte.
Für ihn bin ich noch ein kleiner Junge, dachte er. Wenn ich ein richtiger Krieger gewesen wäre wie er, wäre ich geblieben, um meine Mutter zu beschützen.
Adrian berichtete von dem Schiffbruch, der ihn nach Dumnonia verschlagen hatte, und wie er Elsa, die Tochter des Schiffers, kennengelernt und der Drache Taragor sie beide verfolgt hatte.
Sein Vater hob die Augenbrauen. »Ich habe bereits von solchen Geschöpfen gehört«, sagte er, »hielt sie aber immer für Fabelwesen.«
Jedenfalls schienen ihn Geschichten von Ungeheuern und von Schiffbrüchen nicht im Geringsten zu interessieren.
»Du bist also weit gereist und hast dich mit deinem Verstand und deinem Schwert behauptet«, sagte er billigend. »Ich habe dich als Kind zurückgelassen – und jetzt sehe ich einen Sohn, der mir zur Seite stehen kann.« Er rief einen Diener und befahl ihm, Adrians Becher erneut zu füllen. »Erzähle mir, wo du gekämpft hast«, sagte er. »Hast du auch fleißig weitergeübt?«
»Ja«, antwortete Adrian eifrig. »Ich bin jetzt ein recht guter Bogenschütze und habe in den vergangenen Wochen auch viel auf der Jagd geübt.«
Heored nickte, doch Adrian hatte das Gefühl, dass ihm eine andere Antwort lieber gewesen wäre. »Hoffentlich kannst du mit dem Schwert genauso gut umgehen«, sagte sein Vater. »Wir werden bald kämpfen und ich würde dich gern an meiner Seite sehen.«
»Ich bin mit Cathbar gereist, einem Gefolgsmann König Beotrichs«, sagte Adrian. »Er ist ein sehr guter Lehrer.«
Er verschwieg, dass Cathbar nicht ihm, sondern Elsa Schwertunterricht erteilt hatte. Ein Sohn, der mir zur Seite stehen kann, hatte sein Vater gesagt, und Adrian war so stolz gewesen wie noch nie zuvor. Aber konnte er dieser Sohn wirklich sein?
Beim Anblick des vertrauten und doch fremden Gesichts seines Vaters hatte er sich unwillkürlich gefragt, wie Heored umgekehrt ihn sah. Ohne zu überlegen hatte er die Augen seines Vaters geliehen und einen mageren Jungen gesehen, dessen Kleider an Handgelenken und Knöcheln viel zu kurz waren. Er hatte das Erstaunen seines Vaters darüber gefühlt, wie sehr er gewachsen war … und noch etwas anderes, ein Unbehagen, doch nur für einen
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