Chroniken der Jägerin 3
sagte ich und versuchte, alles andere, was er gesagt hatte, zu ignorieren. Die Vorstellung, dass eine kleine Gruppe von Männern und Frauen im Laufe der letzten Jahrtausende jedem Schritt meiner Vorfahren gefolgt war, passte mir noch immer nicht so recht.
Vater Lawrence faltete seine pelzigen, krallenbesetzten Hände über seinem Bauch zusammen. »Jack sagte, und ich zitiere: › Der jetzige Zustand muss sich verändern.‹ Die Geschehnisse hätten einen Punkt erreicht, an dem er bestimmte Maßnahmen ergreifen müsse, die vielleicht… negative Ergebnisse nach sich zögen.«
»Yo«, sagte ich. »Seine Kehle war durchgeschnitten.«
»Das kann man sicher … negativ nennen«, gab er vorsichtig zurück. »Doch ich denke, dass er sich wegen etwas noch viel Größerem Sorgen gemacht hat.«
»Ich habe ihn doch gestern Abend noch gesehen, es ging ihm gut, er war entspannt und absolut guter Dinge. Er verhielt sich kein bisschen wie jemand, dem etwas Furchtbares bevorstand.« Ich zögerte und starrte in das Kerzenlicht. »Aber Grant … Grant sagte, dass Jack mitten in der Nacht nach mir gerufen habe. Dass er mir etwas sehr Wichtiges erzählen wollte.«
»Er hat dir also was erzählt, oder auch nicht. Da du dich nicht mehr erinnern kannst, behaupte ich mal, dass er dir etwas Wichtiges erzählt hat .«
»Etwas, von dem jemand anders nicht will, dass ich mich daran erinnere.« Ich lehnte mich zurück und schüttelte den Kopf. »Die Jungs können sich auch nicht daran erinnern. Und das … das ist eigentlich unmöglich. Sie sind ja nicht manipulierbar.«
»Außer von denen, die deine Blutlinie angelegt haben, oder«, antwortete er und hob dabei seine dunkle, pelzige Hand, um mögliche Kommentare von meiner Seite von vornherein zu
unterbinden, »oder es handelt sich dabei um eine andere Gewalt, die dir bislang noch unbekannt ist. Mit wie vielen Überraschungen bist du im letzten Jahr konfrontiert worden, Maxine? Es gibt so vieles, was niemand von uns versteht. Wir sind nichts als Kinder, verglichen mit der unendlichen Weite, die da draußen schlummert.«
Ich war sicher, dass er sich nichts dabei gedacht hatte, aber meine Hand berührte meinen Bauch und meine Rippen. »Ich weiß.«
Vater Lawrence kämpfte mit einem weiteren Keks. Diesmal half ich ihm nicht dabei, und er schaffte es tatsächlich, das Ding komplett in seinen Mund zu stecken. Er war ein chaotischer Esser, aber das lag einfach daran, dass sein Mund so merkwürdig geformt war. So nuschelte er: »Grant ist eine ganz und gar andere Angelegenheit.«
»O Gott«, sagte ich.
»Es gibt vieles, was er erklären muss«, gab er mit großer Ernsthaftigkeit zurück, »und wenn er das tut, ist es wichtig, dass du dich wieder fragst, warum du dich nicht an ihn erinnerst. Warum ausgerechnet an ihn – nicht? Was soll dir das nützen?«
»Warum konnte ich nicht einfach alles vergessen? Scheint, als wäre das wirklich das Einfachste gewesen.«
»Einfach ja. Wenn man daran glaubt, dass dir überhaupt jemand deine Erinnerung geraubt hat.«
»Natürlich hat das jemand getan.« Ich runzelte die Stirn und versuchte seinen Blick zu deuten, der plötzlich nachdenklich und distanziert wirkte. »Was denkst du?«
Er zögerte, und das Schweigen, das nun folgte, war dicht und die Luft plötzlich schwer zu atmen.
»Wir beide würden doch alles tun, um die, die wir lieben, zu
beschützen«, sagte Vater Lawrence. »Ich trage Ketten, wenn ich mich nicht mehr im Griff habe. Ich verstecke mich mit Kerzen und Gebeten in diesem Zimmer. Was aber würdest du, Maxine, tun, um Grant zu beschützen?«
»Ich weiß es nicht. Ich gehöre nicht zu dieser Art von Frauen.«
Er lächelte mich traurig und kalt an. Ich konnte die aufgewühlten Jungs unter meiner Haut spüren und merkte, wie sie mich in Richtung Tür zerren wollten. Sie mussten mich nicht zweimal bitten. Ich stand auf, zog meine Stiefel an und fühlte mich unfähig, Vater Lawrence anzusehen.
»Ich frage mich, ob ich ihn getötet habe«, platzte es aus mir heraus. »Ich frage mich das noch immer. Immerhin lag mein Messer da. Andererseits hätte ich keine Waffe gebraucht, um sein Leben zu beenden.«
»Ich glaube auch nicht daran«, sagte Vater Lawrence sanft. »Niemals würdest du deinem eigenen Großvater wehtun. Du bist keine kaltblütige Killerin.«
»Und doch töte ich.« Tränen brannten in meinen Augen. Ich unterdrückte sie. »Bis später, Frank. Bleib sauber. Und hör auf, Killy da mit reinzureißen«, schickte ich noch
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