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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Liu
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warm.
    »Noch nicht«, fügte er hinzu.
    »Ich habe doch gar nichts gesagt«, gab ich zurück.
    »Wir haben diese Unterhaltung schon einmal geführt. Nicht genau in dieser Form, aber wir sind sehr nah dran. Du bist nur nicht mehr ganz so harsch wie damals.«
    »Harsch?«
    »Du hattest ja gute Gründe dafür.«
    Ich wandte mich ab, blickte aus dem Fenster. Sah, wie ein Mann Benzin in seinen Wagen füllte. Banal, alltäglich. Er war
kein Zombie. Eine Frau ging an ihm vorbei in den Verkaufsraum. Sie hatte ihren Kopf gesenkt, um sich vor dem Regen zu schützen, und zog verärgert an ihrem engen rosa Pullover. Der Mann sah sie nicht an. Jeder von ihnen befand sich in seiner eigenen, kleinen Welt – allein.
    »Wann haben wir uns kennengelernt?«, fragte ich.
    »Kannst du dich daran erinnern, wann du nach Seattle kamst? Wo hast du gewohnt? Wo bist du hingegangen?«
    Seine Fragen irritierten mich. »Es ist fast zwei Jahre her. Ich habe im Hyatt gewohnt. Eigentlich wollte ich in dieser Nacht verschwinden, aber dann ging ich zum Pike Place Market, um einen Spaziergang zu … auch wenn mir klar war, dass es Ärger geben würde. Der Gefängnisschleier ist dort außerordentlich schwach.« Ich sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Die nächste Erinnerung, die ich habe, ist… ach, später. Ich bin ins Coop gezogen.«
    »Aber du weißt nicht warum?«
    »Hör auf!«, sagte ich erschöpft. Er tat es und aß sein Eis. Ich sah das Mädchen mit dem rosa Pullover aus der Tankstelle kommen und beobachtete, wie sie noch immer daran herumzupfte, und dass sie vier Liter Milch gekauft hatte. Sie sah fürchterlich aus und außerdem einsam. So als hätte heute Morgen jemand ihre Träume zertrampelt und ihr dann gesagt, sie solle sich in einen Graben legen und sterben.
    Ich schielte zu Grant hinüber, der das Mädchen ebenfalls beobachtete. Er sah traurig aus.
    »Sie denkt darüber nach, sich das Leben zu nehmen«, sagte er, drehte sich in seinem Sitz um und sah ihr dabei zu, wie sie in eine verbeulte, rostige Limousine einstieg. »Sie wird es nicht tun, aber sie trägt den Keim schon in sich.«
    Ich glaubte ihm. Ich konnte gar nicht anders. Am liebsten
wäre ich dem Mädchen nachgerannt, um sie wachzurütteln. Doch ich wusste nicht einmal, warum. Es war ja nicht mein Problem. Ich hatte wahrhaftig genug eigene. »Bist du wie Killy?«
    »Nein«, sagte er, »ich bin etwas anderes.«
    Das Mädchen fuhr davon. Ich fühlte mich kalt und ein wenig leer, so als hätte ich etwas falsch gemacht.
    Ich schüttete die restlichen Hamburger aus der Tüte und ließ nur das Eis darin. Dann wickelte ich das Ganze zu einer Art Block zusammen und drückte es ganz sanft gegen Grants geschwollene Hand. Er hielt still. Seinen Blick nahm ich nicht wahr. »Mal angenommen, du sagst die Wahrheit …«
    »Großzügig von dir.«
    »Genau«, meinte ich. »Mama-Blut hätte dich doch längst getötet oder wenigstens versucht, deinen Körper zu beherrschen.«
    »Sie hat es versucht. Vor etwas über einem Jahr.« Grant legte seine verbundene Hand über meine. »So haben wir uns kennengelernt. Du hast mir das Leben gerettet. Auf dem Pike Place Market.«
    Ich zog meine Hand weg, damit er sich den Eisbeutel an den Kopf halten konnte. »Und dann bin ich nie wieder von dir weggegangen.«
    »Ich glaube, dass du dich dafür entschieden hattest, mich zu mögen. Ein wenig jedenfalls.«
    Mehr als nur ein wenig, wenn wir sogar das Bett geteilt hatten. Ich interessierte mich mehr dafür, wie all das zustande gekommen war, als es gut für mich war. »Was bist du?«
    »Ein Mensch«, antwortete er. Sein Ton war ernst. Dieses eine Wort hing so schwer in der Luft, als bedeute es mehr, als ich wusste. Oder vielleicht wusste ich es doch, nur völlig anders
als in meiner Erinnerung. Ich war menschlich, und ich war es auch wieder nicht. Mensch und Dämon, und andere Anteile zusammengewürfelt – auf eine Art, die ich nicht begreifen konnte.
    Menschlich. Ich war also menschlich. Und doch nicht voll und ganz. »Als ich noch ein Kind war, stellte man fest, dass ich an Synästhesie erkrankt war«, sagte Grant. »Du weißt doch, was das ist, nicht wahr? Ein neurologisches Leiden, das die verschiedenen Sinne, das Hören und das Sehen, durcheinanderbringt. Bei manchen Menschen sind es Buchstaben oder Zahlen, die die Erinnerung an bestimmte Gerüche oder sogar Personen hervorrufen. Bei mir sind es Geräusche … ich sehe dann Farben.«
    Ich kannte diesen Zustand. Ich mochte Musik. Vor vielen Jahren

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