Chroniken der Jägerin 3
leer. Ich drehte mich kurz im Kreis, um sicherzugehen, dass er wirklich nicht hier war.
Dann fand ich jemand ganz anderen.
Eine Frau. Sie kam aus dem Badezimmer, ging wie ein farbloses Gespenst durch den Rauch und blieb dabei von dem
Feuer völlig unbeeindruckt. Erst dachte ich, sie sei nackt, aber ihre Kleidung, die wie Seide in weichen Wellen an ihr haftete, hatte nur beinahe die gleiche Farbe wie ihre Haut. Die Flammen berührten sie, aber nichts an ihr fing Feuer. Um ihren sehr langen Hals trug sie ein Stahlhalsband, ihre Haare waren kurz und rot.
Sie verhieß Ärger. Das wusste ich. Und zwar verdammt großen Ärger.
Ich wich nicht von der Stelle und wartete. Sie tat das Gleiche. Das Gebäude um uns herum brannte herunter, und wir hatten trotzdem alle Zeit der Welt.
Bis sie sich bewegte. Und plötzlich war sie gar keine Frau mehr, sondern ein Mann. Die Verwandlung war umfassend, furchterregend, und als ich genauer hinsah, war sie – er – noch immer dieselbe Person. Je nachdem, aus welchem Blickwinkel man sie ansah.
»Sie sind eine Wächterin«, sagte sie, neigte den Kopf zur Seite und wurde – und zwar einfach so – wieder zu einer Frau, deren markante Wangenknochen vom Feuerschein gerötet waren.
»Ein Bannwächter. In Gestalt einer Frau.«
Ich konnte nicht sprechen. Ich hatte keinen Mund. Also trat ich näher. Der starre Blick der Frau senkte sich und betrachtete meine brennende Kleidung, die allmählich abzufallen begann und meine nackte tätowierte Haut zum Vorschein brachte. Sie sah auf meine Brüste, meinen Bauch, tiefer und tiefer, bis ihr Blick an der Fingerrüstung meiner rechten Hand hängen blieb. Ihre geschlossenen Augen zuckten. Sie neigte den Kopf genussvoll nach hinten – oder doch eher schmerzerfüllt?
»Ich kann ihn spüren«, flüsterte sie und schwankte.
Und verschwand. Einfach weg und in Luft aufgelöst. Fort, als hätte es sie nie gegeben. Wie ein Zauber.
Nur dass es keine Zauberei war. Ich hatte so etwas schon einmal gesehen. Bei Jack und auch bei anderen. Selbst ich konnte durch Räume gleiten, wenn ich meine Fingerrüstung nutzte. Doch für mich hatte eine solche Reise ihren Preis. Sie hatte immer einen Preis.
Aus der Ferne hörte ich Rufe, die blechern klangen. Ich riss meinen Blick von dem Ort los, an dem die Frau gestanden hatte, dachte an Byron und Jack – ich fühle ihn, ich fühle ihn – und rannte zum Eingang zurück. Als ich den Flur hinuntersah, konnte ich eine massige Person hinter einer Flammenwand erkennen.
Es war einer von den Feuerwehrleuten, der gekommen war, um nach dieser dummen Frau zu suchen, die in das Gebäude gerannt war und einen seiner Männer geschlagen hatte. Um ihn herum wütete das Feuer. Dicht und heiß schlängelte es sich an den Wänden hinauf und leckte die Zimmerdecke über ihm. Ich starrte ihn an, war hin- und hergerissen. Ich war nicht sicher, ob er mich gesehen hatte.
Das durfte er nämlich nicht.
Aber meine Füße vibrierten schon, dann die Beine, und ein lautes Ächzen fuhr durch meine Ohren in meine Muskeln und Beine. Diese Etage war verloren.
Ich rannte zu dem Feuerwehrmann. Er war bereits bis zur Treppe zurückgewichen, aber er war zu langsam und auch zu spät. Erst im letzten Moment nahm er Notiz von mir. Ich weiß nicht, was er sah, aber seine Augen öffneten sich unter der Maske sehr weit, und sein Schrei war lauter als die zerberstenden Balken über unseren Köpfen. Ich riss ihn im selben Augenblick zu Boden, als die Decke einstürzte.
Früher war ich einmal von einem Bus angefahren worden, und genauso fühlte sich das jetzt an. Ich konnte den Schmerz
zwar nicht spüren, aber das Gewicht drückte mich auf den Körper des Mannes, und einen Moment lang konnte ich mein Gesicht als Spiegelbild auf dem Glas seiner Maske erkennen.
Nur, dass ich gar kein Gesicht hatte. Keinen Mund. Keine Nase. Selbst meine Augen waren in den schwarzen Schuppen und den Knoten aus Quecksilber verloren gegangen, und jeder Zentimeter meiner Haut war mit dämonischen Körpern übersät. Es war das Furchteinflößendste, was ich je gesehen hatte. Außerdem hatte ich keine Haare mehr.
Ich sah durch mein Spiegelbild hindurch in die Augen des Feuerwehrmanns. Er starrte mich noch immer an und schrie, aber seine Angst hatte weder mit dem Feuer noch mit der Decke, die über uns einbrach, zu tun. Ich ballte meine rechte Hand zur Faust und spürte, wie die Rüstung kribbelte.
Kurz darauf wurde alles um uns herum dunkel.
Es dauerte nur so lange
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