Chroniken der Jägerin 3
seinem Arm, aber diesmal, um ihn an mich heranzuziehen. »Wer sind schon diese dummen Schlächterkönige? Zur Hölle mit ihnen. Mit meinen Jungs haben sie nichts zu tun. Mit meinen mutigen, gefährlichen Jungs.«
Zee senkte den Kopf. »Maxine.«
»Sind wir eine Familie, oder sind wir es nicht?« Ich fuhr mit meiner Hand über sein scharfkantiges Gesicht, versenkte sie in seinen zackigen Haaren und zog seinen Kopf dann so lange nach hinten, bis er mir in die Augen sah.
»Sind wir eine Familie?«, fragte ich ihn noch einmal.
»Im Blut und über den Tod hinaus«, schnarrte er.
»Dann fürchte dich nicht«, sagte ich streng zu ihm, »und ich werde es auch nicht tun.«
Zee starrte mich an, alle Jungs blickten zu mir hin, stumm, und dann sah ich etwas in seinen Augen, das mich glücklich machte, am Leben zu sein. Hier zu sein. Einfach zu sein, wer ich war, trotz aller Mühsal und all der Gefahr. Ich konnte und wollte es auch nicht benennen, aber ich fühlte es so deutlich wie das Leben selbst. Und ich wusste, dass die Jungs es auch fühlten.
»Ein harter Weg«, flüsterte Zee.
»Das ist es ja immer«, antwortete ich, »aber wir haben auch harte Köpfe.«
Zee kniff seine Augen zu, atmete tief aus und fletschte seine Zähne zu einem wortlosen, breiten Grinsen.
»Ja!«, sagte ich. »Jetzt hast du mich verstanden.«
Ich ließ ihn los. Zee wäre beinah nach hinten umgefallen, aber er hielt sich mit einer seiner krallenbesetzten Hände an meinem Knie fest. Dek und Mal schnurrten so laut, dass mein Trommelfell vibrierte. Rohw und Aaz ließen sich in meinen
Schoß fallen. Irgendwo aus den Schatten hatten sie Baseballmützen gezogen, heute Nacht die der Yankees, und setzten sie sich auf. Ich zog ihnen die Krempen tief ins Gesicht.
»Meine Mutter wusste es«, sagte ich. »Oder nicht?«
»Sie wusste es, ja.« Zee duckte sich so tief, bis er einem Champignon im Schatten ähnelte. »Sie wusste alles Mögliche.«
»Jack hat es ihr erzählt.«
»Nein.« Der kleine Dämon zog eine Klaue durch die Piniennadeln am Boden und malte einen Kreis aus verschlungenen Linien, die einen Knoten bildeten. Ein Labyrinth.
»Das Labyrinth.« Ich berührte den Rand des Kreises. »Sie war im Labyrinth, bevor ich auf die Welt kam.«
»Kam vom Weg ab. Ein Versehen.« Zee zögerte. »Sie folgte seltsamen Pfaden.«
»Seltsam genug, um dort von dir zu erfahren? Seltsam genug, um jemanden im Labyrinth zu finden, der die Wahrheit wusste?«
Zee wand sich gequält hin und her. Die anderen Jungs auch. Ich wollte schon weiterfragen, aber ich kannte diesen Blick: Heute Nacht würde es keine Antworten mehr geben, jedenfalls nicht auf diese Fragen.
Ich legte mich hin, und die Jungs rückten allesamt näher, drückten sich an mich und schlangen ihre Arme um meinen Körper. Ich umarmte sie, und gemeinsam sahen wir durch die wankenden Pinienbäume hindurch auf die ersten Sterne der Nacht.
»Woran könnt ihr euch erinnern?«, fragte ich leise. »Vor … diesem hier?«
»Hunger«, sagte Zee. »Dunkelheit und Hunger.«
Ich berührte meine Brust. »Das ist es, was in mir ist. Dieses Etwas … es ist ein Teil von euch.«
Zee schwieg. Rohw und Aaz zitterten, während Dek und Mal Ask The Lonely von Journey summten. Ich schloss meine Augen. »Ihr hättet mir das schon vor Jahren erzählen müssen. Das wäre mir lieber gewesen, als es von Dämonen zu erfahren oder von Jack.«
»Die Wahrheit tut nur weh«, murmelte Zee. »Wahrheit trennt uns. Hat dir Narben zugefügt, dir wehgetan und dein Herz zu Asche gebrannt. Die Wahrheit hat dein Leben ruiniert. Deine alte Mutter hat genauso gefühlt. Gab dir Hinweise und stellte Rätsel auf, um es dir leichter zu machen. Um dich zu retten.«
»Um mich zu retten?«, wiederholte ich harsch. »Vor dem hier?«
Zee legte seine krallenbewehrte Hand auf meine Brust, genau über meinem Herzen. »Das ist der schlimmste Teil von uns.«
Tränen brannten mir in der Kehle und in den Augen. Dann überkam mich ein Gefühl von Hilflosigkeit, das so umfassend und so beängstigend war, dass ich schon dachte, es würde mich in Stücke reißen. »Aber wie? Wie wollte sie mich retten?«
»Dein Herz«, schnarrte er. »Dein süßes Herz. Süße Maxine.«
Meine Mutter war bestimmt eine gute Frau, aber süß war sie nun wirklich nie gewesen. Sie war so hart wie Stein. Und lachte selten. Sie hatte mich zu einem guten Menschen erzogen und zu einem starken auch, aber in Sachen Süßsein hatte es keine Lehrstunden gegeben. Es ging immer
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