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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Liu
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sind beim Bau des Gefängnisses gestorben. Sogar ich habe fast mein Leben verloren. Und trotz allem wussten wir doch immer … wir wussten die ganze Zeit über, dass es nicht auf Dauer halten würde.«
    »Jack«, stöhnte ich.
    »Es gab zwei Gefängnisse«, fuhr er fort und blinzelte sich ein paar Tränen aus den Augen. »Das erste war das Gefängnis, das ihr heute gesehen habt. Ein Ort jenseits dieser Welt, der
eine ganze Armee festhält. Aber das war nicht das Gefängnis, das die Wächter jahrtausendelang bewacht haben. Jenes Gefängnis wird es nicht sein, das die Welt vernichtet, wenn seine Mauern fallen.« Er erschauderte und blickte auf seine bis zum Nagelbett abgenagten, schwarz lackierten Fingernägel. »Das zweite Gefängnis bist du, Maxine. Dein Körper, deine Seele. Deine Blutlinie. Und du bist das einzige Gefängnis, auf das es ankommt. Weil die Dämonen, die in dir sind …«
    »Die Schlächterkönige«, flüsterte ich, und die Jungs rumorten. Ich legte meine Hand auf die Stelle, an der Zee schlief. Ich fühlte mich krank, schwindlig und sehr klein. Eine Katze hätte mich in ihrem Maul wegtragen können.
    Ich brauchte meine Mutter, aber sie lag im Grab.
    »Meine Jungs«, sagte ich heiser. »Meine Jungs, sie sind nicht so, Jack.«
    »Sie haben sich verändert«, räumte er ein. »Aber ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass sie von der Kraft getrennt sind, die sie hervorgebracht hat, oder ob sie möglicherweise wirklich … anders geworden sind. Zehntausend Jahre sind keine lange Zeit, meine Liebe.«
    »Das ist schon eine lange Zeit, sofern man sterblich ist«, knurrte Grant und umschlang mich so fest, dass ich kaum noch atmen konnte. Aber es war immer noch nicht fest genug. Ich verschränkte meine Finger mit seinen, und sein raues, kratziges Kinn drückte auf mein Ohr.
    Und schon wieder erlebte ich ein Déjà-vu: eine Woge der Gewissheit, die von blitzartigen Erinnerungsfetzen begleitet wurde. Eine Erinnerung hob sich ganz besonders hervor: Wir saßen im Bett, so wie jetzt, er hatte seine große Hand über meinem Bauch gespreizt und flüsterte: Eines Tages möchte ich Vater sein .

    Ich schnappte nach Luft. Grants Arm wurde fester, und er sagte mit kalter Stimme: »Maxine wird gar nichts zerstören, Jack.«
    »Zerstörung und Wiedergeburt gehen Hand in Hand«, murmelte mein Großvater und blickte zum Grab meiner Mutter zurück. »Sie sind eins. Alles geht zugrunde. Auf die Zerstörung folgt die Wiedergeburt.«
    »Ich bin nicht schlecht«, sagte ich.
    Jack sah mich prüfend an. »Das weiß ich. Du hast ein gutes Wesen. Deswegen bin ich auch in der letzten Nacht zu dir gekommen. Ich wollte, dass du es erfährst. Diesmal wollte ich alles anders machen. Deine Ahnin hat den Verstand verloren, und in ihrem Wahnsinn … ihrer Wut … hat sie fast die ganze Welt vernichtet. Damals war der Schleier noch stark, nicht so wie heute, aber trotzdem hatte es den Anschein, als hätte sie einen Zugang zu der gebändigten Macht der Schlächterkönige. Manchmal glaube ich, wenn ich es ihr doch erzählt hätte, ihr geholfen hätte, es zu verstehen…« Er machte eine Pause und rieb sich über das Gesicht. »Ich war zu tief in Geheimnisse verstrickt. Und ich hatte Angst vor ihr. Und schämte mich dafür.«
    Sie hatte vor sich selbst Angst , sagte die Finsternis, und ihre Stimme strömte in mir. Aber trotzdem jagte sie weiter .
    Ich schwieg. Grant entgegnete: »Ihr Unsterblichen. Habt vor so vielem Angst. Ich habe Kinder gekannt, die mehr Mumm in den Knochen hatten.«
    »Ich auch«, sagte Jack und berührte den Grabstein meiner Mutter mit herzzerreißender Ehrfurcht. »Ich habe viel von ihnen gelernt.«
    Zu viel. Das alles war schlicht und einfach viel zu viel. Also befreite ich mich aus Grants Armen. »Was kann ich tun?«

    »Nichts. Außer du selbst sein.«
    »Ich selbst«, wiederholte ich. »Als ich gerade mit diesen Dämonen kämpfte, war ich nicht ich selbst. Ich ließ zu, dass das Ding in mir die Kontrolle übernahm, Jack. Und es fühlte sich verdammt … gut an. Viel zu gut.«
    »Maxine«, unterbrach mich Grant und berührte meine Hand. Ich sah ihn überrascht an; nicht wegen seines warnenden Blickes, sondern weil ich verstand, was er mir sagen wollte. Es war schon lange her, dass ich jemanden so gut gekannt hatte.
    Und dann, ganz plötzlich, fühlte es sich gar nicht mehr so an, als wäre es lange her.
    Ich erinnerte mich an ihn. Ich erinnerte mich an das Gefühl, als ich zum ersten Mal seinem Blick in der Menge

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