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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Liu
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begegnet war und schon alles über ihn wusste, nur wegen der Art, wie er lächelte, und wegen des Funkelns in seinen Augen. Jener kleine, kostbare Hort der Erinnerung, die warm in meiner Brust ruhte.
    Später , sagte er jetzt mit den Augen. Wir reden später weiter .
    Wenn wir allein wären. Und fort von Jack.
    Ich sah zu meinem Großvater hin und stellte fest, dass er uns ziemlich unentschlossen musterte. Von seinen Augen einmal abgesehen hätte es auch Byron sein können, der da saß. Ich wollte meinen Kopf am liebsten ins Gras drücken, wieder ein kleines Mädchen sein und losweinen. Einfach nur noch heulen über all dies.
    Aber das hätte niemandem sonderlich weitergeholfen.
    Ich stand mit wackligen Beinen auf und schaute den Hügel hinunter zur Farm. Auf der Veranda stand die Botin und beobachtete uns.
    »Was ist mit ihr?«, fragte ich.
    Grant folgte meinem Blick und schwieg eine Weile.

    »Ich habe ihr die Augen geöffnet«, antwortete er ruhig.
    »Was bedeutet das?«
    »Er hat ihre Konditionierung zerstört.« Jack musterte Grant unverhohlen. »Das hat noch nie zuvor jemand vollbracht.«
    »Niemand hat es bisher versucht.«
    »Es gab schon welche, vor langer Zeit, die es mit anderen Boten versucht haben. Andere Abkömmlinge jener gestohlenen Lichtbringer.« Er lächelte bitter. »Aber ich glaube nicht, dass das eine Geschichte ist, die ihr gerade jetzt hören möchtet.«
    Grant verzog das Gesicht, als sei er anderer Meinung. »Ich weiß, wann du lügst, alter Mann. Ich kann in dich hineinsehen. Warum kann sie es nicht?«
    »Wesen meiner Art kann sie nicht durchschauen. Für sie und die anderen, die so wie sie gezüchtet wurden, sind wir unbeschriebene Blätter. Das war das Erste, was wir modifiziert haben. Die Wahrheit ist Gift, mein Junge.«
    Ich betrachtete meinen Großvater, wie er so klein und allein am Grab seiner Tochter saß. In den gestohlenen Augen, in der gestohlenen Haut konnte ich den alten Mann erkennen, und es tat weh. Ich ging zu ihm hinüber, legte meine Hand auf seine Schulter und küsste ihn auf die Stirn. Jack entspannte sich und schwieg.
    »In der letzten Nacht habe ich anders reagiert, nicht wahr?«, fragte ich grimmig.
    »An deine Reaktion möchte ich mich nicht erinnern«, murmelte Jack. »Und rückblickend ist es wohl das Beste, dass du es auch nicht mehr tust.«
    Damit konnte ich leben. Ich warf Grant einen Blick zu. »Ist sie eine Bedrohung?«
    »Nicht für mich«, antwortete er gelassen. »Ich beobachtete sie.«

    Ich nickte und küsste nun auch ihn. Auf den Mund.
    »Ich liebe dich«, flüsterte ich ganz leise, so dass nur er es hören konnte.
    Dann ging ich fort und schaute nicht zurück.

13
    M eine Mutter hatte von unseren Vorfahren viele Häuser und eine Menge Land in der ganzen Welt geerbt. Die meisten Wohnsitze hatte ich aber nie gesehen; und in denen, die ich nutzte, hatte ich nie länger als ein Jahr gelebt. All das gehörte mir. Ich hatte nur selten daran gedacht.
    Aber nun wanderte ich, bis die Sonne unterging, und sah weder einen Zaun, noch begegnete ich einem anderen menschlichen Wesen.
    Ich befand mich in dem alten Pinienwald, als die Sonne unterging, und saß auf einem weichen Flecken Erde. Ich spürte das Kribbeln, als sich die Schwere der Nacht über meine Haut legte. Ich wusste genau, wann der Horizont die Sonne schluckte.
    Die Jungs wachten auf.
    Es ging ganz schnell. Ich fiel nach hinten und überstand das Gefühl von heißen Rasierklingen, die mir bei lebendigem Leibe die Haut abzogen: zwischen meinen Beinen, unter meinen Fingernägeln, an meinen Brüsten und den Armen. Überall dort also, wo die Jungs geschlafen hatten, schälten sie sich nun von meinem Körper.
    Unter Schmerzen gehäutet. So biss ich mir auf die Zähne und ertrug es, während ich beobachtete, wie Rauch unter meiner
Kleidung hervorströmte, Rauch, der vor roten Blitzen zitterte. Es war nicht anderes als all die anderen Male seit meiner Kindheit, bei denen ich den Jungs beim Aufwachen zugesehen hatte – erst bei meiner Mutter und dann bei mir selbst.
    Aber es fühlte sich anders an. Ich sah es mit anderen Augen.
    Zwei lange Körper legten sich um meinen Hals und leckten mit ihren kleinen Zungen die Rückseite meiner Ohren oder meinen Kopf ab. Ich schloss die Augen und lauschte ihren süßen, hohen Stimmen, die leise summten: I just called to say I love you .
    Ich liebe dich. Ich liebe dich, dachte ich zurück – und es brach mir das Herz. Ich hatte mich selbst nie für sonderlich unschuldig

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