Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
»Richard Gray hat hier in London für mich gearbeitet. Er war mein Bürovorsteher, ein freundlicher und kluger Mann. Ich habe es sehr bedauert, als er kündigte, um mit seiner Familie nach Amerika auszuwandern. Und als Nathaniel mir schrieb und erklärte, wer er sei, habe ich ihm sofort eine Stelle angeboten.«
»Mr Mortmain.« Charlottes Stimme klang stahlhart. »Das ist hier nicht von Belang ...«
»Oh doch, das ist es sehr wohl«, beharrte der kleine Mann. »Sie müssen wissen, dass meine Kenntnisse des Okkulten mir auch in geschäftlichen Angelegenheiten immer nützlich gewesen sind. Vor ein paar Jahren ging beispielsweise ein renommiertes Bankhaus in der Lombard Street bankrott und riss Dutzende großer Unternehmen mit sich in den Ruin. Doch meine Bekanntschaft mit einem Hexenmeister half mir dabei, diese Katastrophe für mich abzuwenden: Ich war in der Lage, meine Geldmittel rechtzeitig abzuziehen, bevor die Bank zusammenbrach, und somit mein Geschäft zu retten. Allerdings weckte dies auch Richards Misstrauen. Er muss wohl Nachforschungen angestellt haben, denn irgendwann konfrontierte er mich mit seinem Wissen über den Pandemonium Club.«
»Dann sind Sie ein Mitglied des Clubs«, murmelte Charlotte. »Natürlich.«
»Ich bot Richard an, dem Club ebenfalls beizutreten, nahm ihn sogar ein- oder zweimal zu einer Zusammenkunft mit, doch er war nicht daran interessiert. Kurz darauf brachte er seine Familie nach Amerika.« Mortmain spreizte die Hände. »Der Pandemonium Club ist nichts für jedermann. Als weit gereister Mann habe ich Geschichten von ähnlichen Organisationen in anderen Großstädten gehört - Gruppen von Männern, die von der Verborgenen Welt Kenntnis haben und ihr Wissen und den damit verbundenen Nutzen mit anderen teilen wollen. Allerdings zahlt man für die Mitgliedschaft einen hohen Preis: absolute Verschwiegenheit.«
»Der wahre Preis ist wesentlich höher«, bemerkte Charlotte kühl.
»Der Club ist keine verbrecherische Organisation«, warf Mortmain ein und klang dabei fast gekränkt. »Im Laufe der Jahre wurden großartige Fortschritte erzielt, viele fantastische Errungenschaften erlangt. Ich habe beispielsweise erlebt, wie ein Hexenmeister einen Silberring erschuf, der seinen Träger sofort an einen anderen Ort brachte, sobald er ihn drehte. Oder eine Art Portal, das den Nutzer an jeden gewünschten Ort der Welt transportierte. Ich habe gesehen, wie sich Männer vom Totenbett erhoben ...«
»Ich bin über die Magie und ihre Möglichkeiten durchaus im Bilde, Mr Mortmain.« Charlotte schaute kurz zu Henry, der eine an der Wand befestigte Entwurfszeichnung für irgendein mechanisches Gerät studierte. »Mich beschäftigt nur eine Frage: Die beiden Hexen, die Mr Gray offensichtlich entführt haben, stehen auf irgendeine Weise mit dem Pandemonium Club in Verbindung. Bisher hieß es immer, es handele sich um einen Klub für Irdische. Warum sollten nun Schattenweltler zu seinen Mitgliedern zählen?«
Mortmain runzelte die Stirn. »Schattenweltler? Sie meinen diese übernatürlichen Wesen, Hexenmeister und Lykanthropen und dergleichen? Es gibt verschiedene Formen der Mitgliedschaft im Pandemonium Club, Mrs Branwell. Ein Irdischer wie ich kann durchaus Mitglied werden, doch der Vorstand - also jene, die den Club führen - besteht ausschließlich aus Schattenweltlern. Hexenwesen, Werwölfe und Vampire. Das Lichte Volk meidet uns allerdings. Für den Geschmack der Feenwesen hat unser Club zu viele Wirtschaftskapitäne in seinen Reihen: Eisenbahnbarone, Fabrikbesitzer und dergleichen. Und so etwas mögen sie nicht.« Mortmain schüttelte den Kopf. »Reizende Kreaturen, diese Feenwesen, aber ich fürchte ernsthaft, dass der Fortschritt eines Tages ihr Untergang sein wird.«
Charlotte interessierte sich nicht für Mortmains Ansichten über das Lichte Volk und überlegte stattdessen fieberhaft. »Lassen Sie mich raten. Sie haben Nathaniel Gray in den Club eingeführt, genau wie Sie seinen Vater damals mitgenommen haben.«
Mortmain, der gerade wieder zu seinem alten Selbstvertrauen zurückgefunden hatte, ließ erneut die Schultern hängen. »Nathaniel war kaum ein paar Tage in meinem Londoner Büro tätig, als er mich auch schon damit konfrontierte. Offenbar hatte er durch seinen Vater von dem Club gehört und verlangte nun, mehr darüber zu erfahren. Ich konnte ihm seinen brennenden Wunsch nicht abschlagen und nahm ihn zu einer der Zusammenkünfte mit, in der Annahme, dass die Angelegenheit
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