Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
mir, was ich getan habe.«
Stumm schüttelte Sophie den Kopf. Der Ausdruck auf seinem Gesicht ... vielleicht war es ja ein Fehler gewesen herzukommen. Ihr Weg führte gerade an Hatchards Bookshop vorbei und sie erwog, rasch in die Buchhandlung hineinzuhuschen. Gewiss würde Gideon ihr nicht folgen, nicht an einen öffentlichen Ort, wo andere ihr Gespräch mithören konnten. Andererseits würde er vielleicht doch genau das tun.
»Ich weiß, was los ist«, sagte Gideon abrupt. »Will. Er hat es Ihnen erzählt, habe ich recht?«
»Die Tatsache, dass Sie diese Frage stellen, verrät, dass es offensichtlich etwas zu erzählen gab.«
»Miss Collins, ich kann Ihnen alles erklären. Aber bitte begleiten Sie mich ein Stück ... hier entlang.« Er ging vor und Sophie folgte ihm, wenn auch argwöhnisch. Sie befanden sich nun vor der St. James’s Church; Gideon führte sie um das Kirchengebäude herum und durch eine schmale Gasse, die die Lücke zwischen Piccadilly Street und Jermyn Street schloss. Hier war es zwar ruhiger, aber auch nicht menschenleer und mehrere Passanten warfen ihnen neugierige Blicke zu - dem Mädchen mit der Narbe und dem attraktiven jungen Mann mit dem blassen Gesicht, der den Picknickkorb nun sorgfältig neben seinen Füßen abstellte.
»Diese ganze Geschichte hängt mit letzter Nacht zusammen, nicht wahr?«, fragte Gideon. »Der Ball im Landhaus meines Vaters, in Chiswick. Dann habe ich mich also nicht geirrt, als ich Will zu sehen glaubte. Ich hatte mich schon gefragt, ob er Ihnen und den anderen davon erzählen würde.«
»Dann geben Sie es also zu? Dass Sie dort waren, auf diesem verkommenen ... diesem unschicklichen ...«
»Unschicklich? Der Ball war mehr als nur unschicklich«, erwiderte Gideon, aufgebrachter als Sophie ihn je erlebt hatte. Hinter ihnen schlug die Kirchturmuhr die Stunde, doch er schien es nicht zu hören. »Miss Collins, ich kann nicht mehr tun, als Ihnen hoch und heilig zu versichern, dass ich bis gestern Nacht keine Ahnung hatte, in welch schlechter Gesellschaft mein Vater verkehrt und welch verheerende Gewohnheiten er angenommen hat. Ich habe die letzten sechs Monate in Spanien verbracht ...«
»War er denn nicht schon vorher so?«, fragte Sophie skeptisch.
»Nein, jedenfalls nicht so extrem. Es ist schwer zu erklären.« Gideons Blick streifte an Sophie vorbei in die Ferne; der graugrüne Farbton seiner Augen wirkte stürmischer als je zuvor. »Mein Vater hat sich schon immer gern über Konventionen hinweggesetzt. Sich am Rande der Legalität bewegt. Er hat uns ständig eingehämmert, dass alle so verfahren würden, dass sämtliche Nephilim auf diese Weise lebten. Und wir - Gabriel und ich, die wir die Mutter schon früh verloren hatten - besaßen niemand anderen, dessen Beispiel wir hätten folgen können. Erst als ich in Madrid eintraf, wurde mir allmählich das Ausmaß von Vaters ... Fehlverhalten bewusst. Nicht alle pfeifen auf das Gesetz und beugen das Recht und man hat mich wie einen Aussätzigen behandelt, als wäre ich ein Monstrum, weil ich diese Ansicht vertrat - bis ich mein Verhalten geändert habe. Durch sorgfältige Beobachtung und Recherche bin ich schließlich zu der Überzeugung gelangt, dass man mich mit schlechten Wertvorstellungen aufgezogen hatte, und zwar mit Absicht. Als mir das erst einmal bewusst geworden war, hatte ich nur noch einen Gedanken: Gabriel. Und wie ich ihm diese Erfahrung ersparen oder ihm die Erkenntnis zumindest auf weniger schockierende Weise vermitteln könnte.«
»Und was ist mit Ihrer Schwester - Miss Lightwood?«
Gideon schüttelte den Kopf. »Meine Schwester ist vor alldem beschützt worden. Mein Vater vertritt die Ansicht, Frauen haben mit den dunkleren Aspekten der Schattenwelt nichts zu schaffen. Nein, sein Augenmerk liegt auf mir: Ich muss seiner Meinung nach mit all seinen finsteren Machenschaften vertraut gemacht werden, denn ich bin der älteste Sohn, der Erbe des Hauses Lightwood. Und mit dieser Absicht hat mein Vater mich gestern Nacht zu diesem Ball mitgenommen, wo Will mich vermutlich gesehen hat.«
»Dann haben Sie gewusst, dass er dort war?«
»Ich war so angewidert von dem Anblick, der sich mir im Saal bot, dass ich mir schließlich einen Weg durch die Menge gebahnt habe und hinaus in den Garten gegangen bin, um frische Luft zu schnappen. Der Gestank der Dämonen hatte mir Übelkeit bereitet. Und dort draußen, im Freien, sah ich dann eine mir vertraute Gestalt, die mit wilder Entschlossenheit einen
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