Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
Überleben bedeuten.«
»Ich bin mir nicht so sicher, ob sie sich im Moment überhaupt für ihr Leben interessiert«, bemerkte Tessa leise.
»Unsinn - jeder interessiert sich dafür«, konterte Will. »Jeder will leben.«
Bei diesen Worten wandte Jem abrupt den Kopf ab und starrte in die Flammen des Kaminfeuers.
»Bleibt die Frage ›Wen können wir schicken, um Jessamine zu überreden?‹«, meinte Charlotte. »Ich scheide aus. Denn sie hasst mich und gibt mir an allem die Schuld.«
»Ich könnte sie aufsuchen«, sagte Henry, dessen sanftes Gesicht von Sorgenfalten zerfurcht war. »Vielleicht gelingt es mir ja, das arme Mädchen zur Vernunft zu bringen. Ich könnte mit ihr über die Torheit junger Liebe reden ... darüber, wie schnell diese dahinschwindet im Angesicht der rauen Realität des Lebens ...«
»Nein.« Charlottes Ton ließ keinen Widerspruch zu.
»Nun ja, ich bezweifle, dass Jessamine mich sehen möchte«, sagte Will. »Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass Jem geht. Ihn kann man gar nicht hassen - selbst dieser Teufel in Katzengestalt mag ihn.«
Jem, der noch immer in die Flammen starrte, seufzte. »Also schön, ich werde zur Stadt der Stille fahren«, willigte er ein. »Aber Tessa sollte mich begleiten.«
Verblüfft schaute Tessa auf. »Oh nein«, protestierte sie. »Ich glaube nicht, dass Jessamine mich sonderlich mag. Sie ist der Ansicht, ich hätte sie fürchterlich hintergangen, weil ich mich in sie verwandelt habe. Und ich kann es ihr noch nicht einmal verübeln.«
»Das mag sein«, räumte Jem ein. »Aber du bist Nates Schwester. Wenn sie ihn so sehr liebt, wie du sagst ...« Jems Blick traf Tessas. »Du kennst Nate. Deine Aussagen über ihn haben Autorität. Möglicherweise kannst du sie überzeugen, wo ich es nicht mehr kann.«
»Also gut«, sagte Tessa. »Ich werde es versuchen.«
Das schien das Signal für das Ende des Frühstücks zu sein: Charlotte eilte davon, um eine Kutsche aus der Stadt der Stille herbeikommen zu lassen, da die Stillen Brüder diese Vorgehensweise bevorzugten. Henry kehrte in seine Krypta und zu seinen Erfindungen zurück und Jem murmelte Tessa irgendetwas zu und machte sich dann auf, um Mantel und Hut zu holen. Nur Will blieb im Salon und starrte ins Kaminfeuer.
Als Tessa sah, dass er keine Anstalten machte, den Raum zu verlassen, wartete sie, bis sich die Tür hinter Jem geschlossen hatte. Dann erhob sie sich leise und stellte sich zwischen Will und die Flammen.
Langsam hob er den Kopf. Er trug noch immer dieselbe Kleidung wie beim Ball in der Nacht zuvor; allerdings war sein weißes Hemd blutgetränkt und sein Frack zerrissen. Auch auf seiner Wange, unterhalb seines linken Auges, leuchtete eine tiefe Schnittwunde.
»Will«, setzte Tessa an.
»Wolltest du nicht zusammen mit Jem zur Stillen Stadt aufbrechen?«
»Doch - und das werde ich auch gleich«, erwiderte sie. »Aber zuerst muss ich dir ein Versprechen abnehmen.«
Wills Blick kehrte zum Feuer zurück; Tessa konnte sehen, wie sich die tanzenden Flammen in seinen Pupillen spiegelten. »Dann heraus damit, und zwar schnell. Denn ich muss mich wichtigen Geschäften widmen. Ich beabsichtige, den ganzen Nachmittag zu schmollen, gefolgt von einem Abend Byron’schen Brütens und einer Nacht voller Ausschweifungen.«
»Von mir aus kannst du ausschweifen, so viel du willst. Ich möchte nur dein Wort darauf, dass du niemanden davon erzählst, was letzte Nacht zwischen uns auf dem Balkon geschehen ist.«
»Ach, das warst du «, bemerkte Will in einem Ton, als würde er sich plötzlich wieder an ein überraschendes Detail erinnern.
»Verschone mich mit deinen Sprüchen!«, fauchte Tessa, die gegen ihren Willen getroffen war. »Wir standen unter Hexenpulvereinfluss. Es hatte nichts zu bedeuten. Ich mache dir keine Vorwürfe für das, was vorgefallen ist - da kannst du jetzt auch noch so gelangweilt tun. Aber es besteht kein Grund, dass irgendjemand anderes davon erfahren muss, und wenn du ein Gentleman wärst ...«
»Das bin ich aber nicht.«
»Aber du bist ein Schattenjäger«, entgegnete Tessa giftig. »Und für Schattenjäger, die mit Hexenwesen herumtändeln, gibt es keine Zukunft.«
Das Feuer tanzte in Wills Augen. »Dich zu necken, ist wirklich langweilig geworden, Tess.«
»Dann gib mir dein Wort, niemandem davon zu erzählen, nicht einmal Jem, und ich halte mich fern von dir und langweile dich nicht länger.«
»Ich gelobe es beim Erzengel«, sagte Will. »Ich hatte ohnehin nicht vor, damit
Weitere Kostenlose Bücher