Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
unbemerkt beobachten? Wir müssen in der Lage sein, jederzeit einzugreifen - insbesondere wenn sich herausstellen sollte, dass sein Misstrauen geweckt ist.«
»Uns bleibt nichts anderes, als vor ihm dort einzutreffen und uns irgendwo im Lager zu verstecken. Das ist die einzige Möglichkeit«, verkündete Will. »Und dann hören wir einfach zu, ob und was Nate Nützliches zu sagen hat.«
»Mir missfällt der Gedanke, dass Tessa überhaupt mit ihm reden muss«, murmelte Jem.
»Sie kann sich ganz gut behaupten; ich habe es selbst gesehen. Außerdem ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass er offen spricht, wenn er sich in Sicherheit wähnt. Wenn wir ihn erst einmal gefasst haben, könnte es sein, dass die Brüder der Stille auf Blockaden in seinem Verstand stoßen, die Mortmain dort vorsorglich platziert hat, um sein Wissen zu schützen. Und es kann eine Weile dauern, diese aufzuheben.«
»Ich glaube ja, dass Mortmain Jessamine auf jeden Fall mit Blockaden versehen hat«, bemerkte Tessa. »Ich komme einfach nicht an ihre Gedanken heran.«
»Umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass er bei Nate ähnlich vorgegangen ist«, erklärte Will.
»Dieser Grünschnabel ist so schwach wie ein Baby«, bemerkte Henry. »Er wird uns alles sagen, was wir wissen wollen. Und wenn nicht, habe ich da ein Gerät ...«
»Henry!« Charlotte wirkte höchst beunruhigt. »Sag mir bitte, dass du nicht an der Entwicklung eines Folterinstruments gearbeitet hast.«
»Keineswegs. Ich nenne es den ›Verwirrer‹. Das Gerät sendet Vibrationen aus, die das menschliche Gehirn direkt beeinflussen und dafür sorgen, dass der Betreffende nicht mehr zwischen Fakt und Fiktion unterscheiden kann.« Mit stolzer Miene griff Henry nach einem Kästchen. »Nate wird einfach alles ausspucken, was sich in seinem Gehirn versteckt, ohne jeden Gedanken an mögliche Konsequenzen ...«
Warnend hielt Charlotte eine Hand hoch. »Nicht jetzt, Henry. Falls wir den ... Verwirrer bei Nate Gray einsetzen müssen, werden wir das tun, sobald wir ihn hierher ins Institut gebracht haben. Im Moment sollten wir uns darauf konzentrieren, wie wir vor Tessa zum Lagerhaus gelangen. Es ist nicht so furchtbar weit entfernt; ich schlage vor, Cyril bringt uns dorthin und kehrt dann zurück, um Tessa zu holen.«
»Nate wird die Kutsche des Instituts wiedererkennen«, gab Tessa zu bedenken. »Als ich Jessamine dabei beobachtet habe, wie sie zu einem Treffen mit Nate aufbrach, war sie zu Fuß. Also werde auch ich zu Fuß gehen.«
»Du verirrst dich nur«, bemerkte Will.
»Nein, das werde ich nicht«, entgegnete Tessa und zeigte auf den Stadtplan. »Der Weg ist ziemlich einfach. Ich könnte von der Gracechurch Street in die Eastcheap abbiegen und dann zur Mincing Lane abkürzen.«
Daraufhin entbrannte eine Diskussion, bei der Jem sich zu Tessas Überraschung auf Wills Seite schlug und dagegen aussprach, dass Tessa allein durch die Straßen lief. Schließlich kam man zu dem Beschluss, dass Henry die Kutsche zur Mincing Lane steuern würde, während Tessa die Strecke zu Fuß zurücklegte. Cyril würde ihr dabei in diskretem Abstand folgen, damit sie sich in der dicht bevölkerten, dreckigen, lauten Stadt nicht verirrte.
Achselzuckend stimmte Tessa dem Plan zu - es erschien ihr weniger anstrengend, als noch länger zu diskutieren, und es machte ihr nichts aus, dass Cyril über sie wachen würde.
»Ich nehme nicht an, dass irgendeiner der hier Versammelten noch darauf hinweisen will, dass wir das Institut ein weiteres Mal ohne den Schutz eines Schattenjägers zurücklassen«, bemerkte Will.
Charlotte rollte die Karte wieder zusammen. »Und wer von uns sollte deiner Meinung nach hierbleiben, anstatt Tessa zu helfen?«
»Ich habe ja gar nicht gesagt, dass irgendjemand hierbleiben sollte«, erwiderte Will und senkte dann die Stimme: »Aber Cyril wird bei Tessa sein, Sophie ist nicht vollständig ausgebildet und Bridget ...«
Tessa warf einen raschen Blick auf Sophie, die still in einer Ecke der Bibliothek saß, allerdings durch nichts zu erkennen gab, dass sie Wills Worte gehört hatte. In der Zwischenzeit drang Bridgets Stimme von der Küche herüber, mit einer weiteren todtraurigen Ballade:
»Sie rangen, sie rangen auf und ab
Den langen Sommertag,
Bis Willie zog heraus sein Schwert,
Und schlug den Bruder jach.
›Oh heb’ mich empor auf deinen Rücken,
Und trag’ mich zum Quell daher,
Und wasche mit Fleiß meine blutigen Wunden,
Dass sie nicht bluten mehr.‹«
[23]
»Beim
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