Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
Erzengel«, stieß Charlotte hervor, »wir werden wirklich einmal etwas unternehmen müssen, ehe sie uns noch alle in den Wahnsinn treibt.«
Bevor irgendeiner darauf reagieren konnte, geschahen zwei Dinge gleichzeitig: Plötzlich klopfte etwas gegen die Fensterscheibe und erschreckte Tessa derartig, dass sie einen Schritt zurückwich, und gleichzeitig ertönte ein lauter, hallender Gong in der Eingangshalle - das Geläut der Türglocke. Charlotte wechselte kurz ein paar Worte mit Will, die Tessa im Dröhnen des Gongs aber nicht verstehen konnte, und dann verließ Will den Raum, während Charlotte zum Fenster marschierte, es öffnete und etwas auffing, das draußen vor der Scheibe schwebte.
Als sie zum Tisch zurückkehrte, flatterte ein Stück Papier in ihren Händen - der Anblick ließ Tessa an einen kleinen weißen Vogel denken, der nervös mit den Flügeln schlug. Die Brise, die vom Fenster kam, wehte Charlotte die Haare ins Gesicht und erinnerte Tessa wieder daran, wie jung die Institutsleiterin eigentlich noch war.
»Vermutlich von Nate«, sagte Charlotte. »Seine Nachricht an Jessamine.« Sie übergab das Papier an Tessa, die den cremeweißen Bogen der Länge nach aufriss, im hektischen Versuch, ihn möglichst schnell zu öffnen.
Tessa schaute auf. »Die Nachricht stammt tatsächlich von Nate«, bestätigte sie. »Er hat eingewilligt, sich mit Jessie bei Sonnenuntergang am üblichen Ort zu treffen ...« Im nächsten Moment schnappte sie verwundert nach Luft, als die Nachricht - die offenbar erkannt hatte, dass ihr Inhalt gelesen war - plötzlich in hellen, aber wärmelosen Flammen aufging und sich selbst vernichtete, bis nur noch ein Film aus schwarzer Asche auf Tessas Fingern zurückblieb.
»Das lässt uns nur wenig Zeit«, stellte Henry fest. »Ich bitte Cyril besser sofort, die Kutsche bereit zu machen.« Er warf Charlotte einen Blick zu, als erwartete er ihre Zustimmung, doch sie nickte nur, ohne ihn anzusehen. Seufzend verließ Henry den Raum und wäre dabei fast mit Will zusammengestoßen, der von der Eingangshalle zurückkehrte, dicht gefolgt von einer Gestalt in einem Reiseumhang.
Einen Moment lang fragte Tessa sich, ob es sich dabei vielleicht um einen der Brüder der Stille handelte - aber dann schlug der Besucher die Kapuze zurück und Tessa sah die vertrauten rotblonden Haare und grünen Augen. »Gideon Lightwood?«, stieß sie überrascht hervor.
»So, das wäre geregelt: Das Institut bleibt nicht ohne einen Schattenjäger zurück«, verkündete Charlotte zufrieden und schob die Karte in ihre Tasche.
Bei Gideons Anblick sprang Sophie hastig auf - und erstarrte dann, als wüsste sie nicht, wie sie sich abseits des Fechtsaals dem älteren der Lightwood-Brüder gegenüber verhalten sollte.
Gideon schaute sich in der Bibliothek um; seine grünen Augen wirkten wie üblich ruhig und gelassen. Dagegen schien Will vor Energie hell zu strahlen, obwohl er vollkommen reglos dastand. »Ihr habt mich gerufen?«, wandte Gideon sich an Tessa, der plötzlich bewusst wurde, dass er natürlich nicht sie, sondern Jessamine sah. »Also bin ich hergekommen - obwohl ich wirklich nicht weiß, warum oder wozu.«
»Zunächst einmal, um Sophie zu trainieren«, erklärte Charlotte. »Aber auch, um während unserer Abwesenheit auf das Institut aufzupassen. Wir brauchen einen volljährigen Schattenjäger, der hier die Stellung hält, und du kommst dafür infrage. Genau genommen, hat Sophie dich vorgeschlagen.«
»Und wie lange werdet ihr fort sein?«
»Zwei, drei Stunden. Auf keinen Fall die ganze Nacht.«
»In Ordnung.« Gideon knöpfte seinen Umhang auf; Staub haftete an seinen Stiefeln und seine Haare wirkten zerzaust, als wäre er ohne Hut durch den kalten Wind gelaufen. »Mein Vater würde das als ein gutes Training bezeichnen - für den Zeitpunkt, wenn ich die Leitung des Instituts übernehme.«
Will murmelte etwas in sich hinein, das wie »unglaubliche Frechheit« klang, und warf Charlotte einen fragenden Blick zu.
Doch die Schattenjägerin schüttelte kaum merklich den Kopf. »Möglicherweise wirst du das Institut tatsächlich eines Tages leiten«, reagierte sie recht milde auf Gideons Bemerkung. »Auf jeden Fall sind wir dir sehr dankbar für deine Unterstützung. Das Institut obliegt schließlich der Verantwortung aller Nephilim. Diese Einrichtungen sind unsere Wohnsitze, unser Idris fern der Heimat.«
Gideon schaute fragend zu Sophie. »Sind Sie bereit für das Training?«
Das Mädchen nickte und die
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