Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
Nate, wie sie ihn seit ihrer Kindheit kannte - sie erfasste das Licht in ihm, das wie in jedem Menschen leise flackerte, ähnlich einer Kerze in der Dunkelheit. Tessa hörte, wie er bestürzt die Luft anhielt, und dann wurde sie von der Verwandlung übermannt, die ihre Haut kräuselte und ihre Knochen schmelzen ließ. Die Knöpfe am Kragen und den Ärmeln platzten ab, während sie wuchs und gleichzeitig unkontrollierte Zuckungen ihren Körper durchliefen und dabei ihr Bein aus Nates Griff befreiten. Keuchend rollte Tessa sich von ihrem Bruder fort, dann kam sie taumelnd auf die Beine und sah, wie sich seine Augen bei ihrem Anblick weiteten.
Sie war nun sein perfektes Ebenbild - abgesehen von der Kleidung.
Hastig wirbelte Tessa zu dem Automaten herum, der wie erstarrt dastand und auf weitere Befehle wartete. Will, der sich noch immer an dessen Rücken festklammerte, hob eine Hand und Tessa warf ihm das Gerät zu, wobei sie ein stummes Dankesgebet an die vielen Wurftechnikstunden mit Gabriel und Gideon sandte. Das Gerät flog in einem perfekten Bogen durch die Halle und Will fing es in der Luft auf.
In der Zwischenzeit hatte Nate sich aufgerappelt. »Tessa«, knurrte er. »Was zum Teufel glaubst du eigentlich, damit erreichen zu können ...«
»Ergreif ihn!«, brüllte Tessa dem Automaten zu und zeigte auf Nate. »Schnapp ihn dir und halt ihn fest!«
Die Kreatur rührte sich nicht von der Stelle. Tessa hörte nur Nates kurzatmiges Schnaufen neben sich und ein metallisches Dröhnen, das von dem Automaten kam. Will war dahinter verschwunden und hantierte daran herum, aber Tessa konnte nicht verfolgen, was er machte.
»Tessa, du Närrin«, fauchte Nate. »Das wird nicht funktionieren. Diese Kreatur hört nur auf die Befehle von ...«
»Ich bin Nathaniel Gray!«, brüllte Tessa dem Metallriesen zu. »Und im Namen des Magisters befehle ich dir, diesen Mann zu ergreifen und ihn festzuhalten!«
Wütend stürzte sich Nate auf sie. »Jetzt ist es aber genug mit deinen Spielchen, du dummes, kleines ...«
Seine Worte erstarben ihm im Mund, als der Automat sich plötzlich bückte und ihn mit seinen spitzen Klauen packte. Dann hob er Nate hoch, immer höher, bis dieser sich direkt vor der schlitzartigen Mundöffnung befand, aus der begierige Klick- und Sirrgeräusche drangen. In dem Moment begann Nate zu schreien: Er kreischte und strampelte wie von Sinnen, während Will, der seine Aufgabe offenbar erledigt hatte, sich von der Kreatur abstieß, geschickt auf dem Boden landete und Tessa etwas zubrüllte, die blauen Augen weit aufgerissen ...
Doch sie konnte ihn durch das Kreischen ihres Bruders nicht verstehen. Ihr Herz hämmerte wie wild in ihrer Brust und sie spürte, wie ihre Haare herabfielen und weich und schwer auf ihren Schultern landeten. Sie war wieder sie selbst - der Schock der Ereignisse war einfach zu groß, um die Verwandlung länger aufrechtzuerhalten.
Nate schrie noch immer; die Kreatur hielt ihn unerbittlich in den spitzen Klauen. Will hatte sich gerade in Bewegung gesetzt, als der Automat Tessa anstarrte und sich brüllend erhob. Doch im nächsten Moment war Will bereits bei ihr, stieß sie zu Boden und warf sich mit seinem Körper schützend auf sie, als der Klockwerk-Automat auch schon detonierte und wie ein explodierender Stern auseinandergerissen wurde.
Die Kakofonie aus berstendem, knirschendem Metall war unbeschreiblich. Tessa versuchte, ihre Ohren zu bedecken, doch Wills Körper presste sie fest auf den Boden. Sie sah, wie er die Ellbogen links und rechts von ihrem Kopf in die Holzdielen rammte, spürte seinen warmen Atem in ihrem Nacken, fühlte sein wild pochendes Herz an ihrem Rücken. Dann hörte sie, wie ihr Bruder einen Schrei ausstieß, einen grässlichen, gurgelnden Schrei. Tessa drehte den Kopf und presste ihr Gesicht an Wills Schulter, während sein Körper über ihrem unkontrolliert zu zucken begann und der Boden unter ihnen bebte ...
Und dann war alles vorbei. Langsam öffnete Tessa die Augen. Die Luft war erfüllt von Staub und Holzsplittern und Teeblättern aus den zerfetzten Jutesäcken. Große Metallstücke lagen willkürlich über den Boden verstreut und mehrere Fensterscheiben waren geplatzt, durch die diesiges Abendlicht in die Halle fiel. Rasch schaute Tessa sich um und entdeckte Henry, der Charlotte im Schoß hielt und ihr bleiches Gesicht mit Küssen bedeckte, während diese verwundert zu ihm aufschaute. Dann fiel Tessas Blick auf Jem, der sich gerade mit der Stele in der
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