Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
Dienstbotenkleid und der weißen Haube, und wischte Staub.
»Wir haben Nathaniel Gray als Informationsquelle verloren, eine der Unsrigen hat sich als Spionin entpuppt und wir sind auf der Suche nach Mortmain keinen Schritt weiter als vor vierzehn Tagen«, fuhr Charlotte fort.
»Nach allem, was wir unternommen und herausgefunden haben? Der Rat wird bestimmt Verständnis zeigen ...«
»Nein, das wird er nicht. Was mich betrifft, ist er ohnehin am Ende seiner Geduld. Ich kann genauso gut zu Benedict Lightwood gehen und das Institut direkt auf seinen Namen überschreiben. Dann habe ich mit dieser ganzen Geschichte wenigstens nichts mehr zu tun.«
»Was sagt Henry denn dazu?«, fragte Jem. Sowohl er als auch Charlotte hatten ihre Kampfmontur inzwischen abgelegt: Der junge Schattenjäger trug ein weißes Hemd zu einer braunen Stoffhose und Charlotte war in eines ihrer tristen dunklen Kleider geschlüpft. Als Jem jedoch mit der Hand gestikulierte, sah Tessa, dass Wills getrocknetes Blut noch immer daran klebte.
Charlotte schnaubte auf wenig damenhafte Weise. »Ach, Henry«, sagte sie erschöpft. »Ich glaube, er ist derartig geschockt, dass eine seiner Erfindungen tatsächlich einmal funktioniert hat, dass er gar nicht weiß, wohin mit sich. Und er bringt es einfach nicht über sich, hierher auf die Krankenstation zu kommen. Er glaubt, es sei seine Schuld, dass Will und Tessa verletzt wurden.«
»Ohne dieses Gerät wären wir möglicherweise alle tot und Tessa befände sich in den Händen des Magisters«, wandte Jem ein.
»Du bist herzlich eingeladen, das Henry zu erklären. Ich habe inzwischen jeglichen Versuch aufgegeben.«
»Charlotte ...« Jems Stimme klang sanft. »Ich weiß, was die Leute sagen. Ich weiß, dass du den grausamen Tratsch ebenfalls kennst. Aber Henry liebt dich wirklich. In dem Moment, als er dich verletzt glaubte, in der Lagerhalle, da ist er förmlich durchgedreht und hat sich wieder und wieder auf diesen Klockwerk-Automaten gestürzt ...«
»James.« Unbeholfen tätschelte Charlotte Jems Schulter. »Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du mich zu trösten versuchst, aber Unwahrheiten nützen letztendlich niemandem. Ich habe schon vor langer Zeit akzeptiert, dass Henry zuallererst seine Erfindungen liebt und ich bei ihm an zweiter Stelle komme - wenn überhaupt.«
»Charlotte«, setzte Jem müde an, doch noch bevor er etwas hinzufügen konnte, trat Sophie zu ihnen ans Bett, ein Staubtuch in der Hand.
»Mrs Branwell«, sagte sie mit leiser Stimme. »Wenn ich Sie wohl einen Moment sprechen dürfte ...«
Überrascht musterte Charlotte das Dienstmädchen. »Sophie ...«
»Bitte, Mrs Branwell.«
Charlotte legte Jem eine Hand auf die Schulter, raunte ihm etwas ins Ohr und nickte dann. »Also gut, Sophie. Wir gehen am besten in den Salon.«
Als Charlotte zusammen mit Sophie den Krankensaal verließ, stellte Tessa zu ihrer Überraschung fest, dass das Mädchen größer war als seine Dienstherrin. Charlotte besaß eine solch starke Ausstrahlung, dass man oft vergaß, wie klein sie tatsächlich war. Und das Dienstmädchen war so groß wie Tessa und gertenschlank. Vor ihrem inneren Auge sah Tessa Sophie wieder mit Gideon Lightwood, der sie an die Flurwand drückte, und konnte einen sorgenvollen Gedanken nicht verhindern.
Nachdem die Tür hinter den beiden ins Schloss gefallen war, beugte Jem sich vor und stützte die Arme auf das Fußteil von Tessas Messingbett. Er betrachtete Tessa; ein leicht schiefes Lächeln umspielte seine Mundwinkel und seine Hände hingen locker herab - getrocknetes Blut haftete an seinen Knöcheln und unter seinen Fingernägeln. »Tessa, meine Tessa«, murmelte er leise und so sanft wie die Musik seiner Geige. »Ich weiß, dass du mich nicht hören kannst. Bruder Enoch sagt, dass du nicht schwer verwundet bist. Aber ich kann nicht behaupten, dass mich seine Worte hinreichend trösten würden. Es erscheint mir eher wie eine dieser Situationen, in denen Will mir versichert, dass wir uns nur ein kleines bisschen verirrt haben. In dem Moment weiß ich genau, was das bedeutet: Für die nächsten Stunden werden wir keine vertrauten Straßenzüge mehr zu Gesicht bekommen.«
Dann senkte er die Stimme und sprach so leise, dass Tessa sich nicht sicher war, ob er die Worte wirklich äußerte oder ob sie Teil der Traumdunkelheit waren, die sie langsam wieder zu verschlucken drohte, obwohl sie sich dagegen sträubte.
»Dabei hat es mir nie etwas ausgemacht«, fuhr Jem fort. »Ich
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